"Es ist für die Steuerabteilung immens wichtig geworden, von Beginn an involviert zu sein"
Frau Hüttemann, was hat Nachhaltigkeit mit Steuern zu tun?
Sehr viel. Zum einen ist der Zusammenhang durch regulatorische Aspekte bedingt. So können Gesetzgeber Anreize und Sanktionen setzen, damit sich Unternehmen schneller in Richtung Nachhaltigkeit bewegen. Dazu gehören zum Beispiel Anreize über die Stromsteuer oder die gesamte Carbon Border Adjustment Mechanism Regulatorik, kurz CBAM.
Nachhaltigkeit und Steuern: "Die Änderungen von Lieferketten und Unternehmensstrukturen haben steuerliche Auswirkungen"
Zum anderen zieht auch der daraus resultierende Wandel der Unternehmen steuerliche Fragen nach sich. Unternehmen verändern sich, bauen ihre Lieferketten neu, um nachhaltiger zu sein, stoßen Unternehmensbereiche ab, verlagern die Produktion, errichten neue Fertigungsstätten, die sauberer produzieren, gehen aus bestimmten Ländern weg und manche auch zurück nach Europa. Diese Änderungen von Lieferketten und Unternehmensstrukturen haben steuerliche Auswirkungen, zum Beispiel im Bereich der Verrechnungspreise, der Umsatzsteuer und Exportkontrollen oder der Finanzierung. Jede Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit hat regelmäßig auch steuerliche Konsequenzen.
Worin sehen Sie dabei aktuell die größten Herausforderungen für Unternehmen?
Meines Erachtens ist es vor allem wesentlich, dass die Steuerabteilung eines Unternehmens frühzeitig in jegliche unternehmerische Entscheidung eingebunden wird. Passiert dies nicht – und das erleben wir in unserer Beratungspraxis leider immer wieder – gibt es einen erheblichen ‚Reparaturaufwand‘. Wurden beispielsweise Gesellschaften akquiriert, die nachhaltiger sind, die Steuerabteilung davon aber erst Monate später erfährt, lassen sich solche Prozesse aus steuerlicher Sicht nicht adäquat begleiten. Hier denke ich insbesondere an die Implementierung eines funktionsfähigen Tax Compliance Management Systems.
Wie steht es um die Reportingpflichten? Was kommt in diesem Zusammenhang an steuerlichen Aspekten auf die Firmen zu?
Was die Unternehmen momentan am meisten bewegt, ist die Corporate Sustainability Reporting Directive der EU. Von dieser CSRD-Richtlinie waren bisher nur rund 550 große, börsennotierte Unternehmen betroffen. Sie mussten im Rahmen ihres Lageberichtes überwiegend qualitative Angaben zur Nachhaltigkeit machen. Diese Pflicht eines ESG-Reportings wird nun sehr stark ausgedehnt. Ab dem Geschäftsjahr 2025 müssen dies alle bilanzrechtlich großen Unternehmen reporten, das betrifft also zigtausende.
Wir erwarten, dass die Einforderung von steuerlichen Kennzahlen für diese Lageberichte von der EU nachgeholt wird.
Hinzukommt, dass sie im Lagebericht künftig nicht nur qualitativ reporten müssen, sondern auch quantitativ. Es gibt exakt definierte Kennzahlen zu allen drei ESG-Bereichen, also Environmental, Social und Governance. Das Regelwerk ist komplex; es sind über 130 KPIs die dort quantitativ errechnet und dargestellt werden müssen. Ursprünglich wollte die EU steuerliche Aspekte dort direkt einbringen. Doch darauf hat man im ersten Anlauf zunächst verzichtet. Wir erwarten aber, dass die Einforderung von steuerlichen Kennzahlen für diese Lageberichte von der EU nachgeholt wird.
Eine Beratung muss deshalb schon einen Schritt vorher ansetzen und den Unternehmen Möglichkeiten aufzeigen, die geforderten Daten zunächst einmal überhaupt zu erheben.
Was bedeutet die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit für die steuerliche Beratung?
Die Schwierigkeit besteht zunächst darin, dass eine quantitative Beschreibung in Bezug auf ESG ad hoc kaum möglich ist. Viele Werte werden in den Firmen noch gar nicht gemessen. Eine Beratung muss deshalb schon einen Schritt vorher ansetzen und den Unternehmen Möglichkeiten aufzeigen, die geforderten Daten zunächst einmal überhaupt zu erheben. Also, wie erhält man die geforderten Daten, wie erhebt man sie und wie lässt sich das Ganze prozessual möglichst gut automatisieren, damit sich der Aufwand in Grenzen hält. Das ist eine gewaltige Herausforderung für die Unternehmen. Für alle Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro wird darüber hinaus mit dem Public-Country-by-Country-Reporting der EU, kurz PCbCR, ein weiteres Reporting verpflichtend. Damit soll die Öffentlichkeit einen besseren Einblick in die „Steuermoral“ von Unternehmen erhalten. Und nicht zuletzt gibt es Pillar II der globalen BEPS-Initiative – base erosion and profit shifting. Ziel ist es, damit eine globale Mindeststeuer durchzusetzen. Es ist ein komplexer Berechnungsprozess, der gegenüber der Finanzverwaltung reportet werden muss. Das betrifft ebenfalls alle Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz. Allerdings sind durch die Inflation sehr viele Firmen über diese Umsatzgrenze gerutscht. Allen Reportings, die auf ESG einzahlen, ist gemein, dass sie dafür Daten benötigen und diese Datenerhebung und -verwaltung so gestaltet werden muss, dass damit nicht die gesamte Organisation lahmgelegt wird.
… das klingt nach viel Arbeit …
Ja, auch weil das Thema Tax Compliance auch bei der Datengenerierung immer mitgedacht werden sollte. Im Idealfall sind die Daten in der Finanzbuchhaltung oder in anderen IT-Systemen vorhanden und man kann sie über Schnittstellen in die Reports hochladen und dann an die Verwaltung übermitteln. Daher beraten wir nicht nur, sondern unterstützen Unternehmen auch IT-seitig, beispielsweise bei der Programmierung der Schnittstellen oder mit eigenen Tools. Mittlerweile ist unsere Beratung fast regelmäßig mit dem Einsatz von IT verbunden.
Hauptsächlich haben Sie bisher die sehr großen Firmen genannt, werden die KMUs noch verschont?
Für das PCbCR und BEPS ist das so. Aber die CSRD-Richtlinie beispielswiese betrifft mit ihrer ESG-Reportingpflicht bereits ab dem Geschäftsjahr 2026 auch kleine und mittlere börsennotierte Unternehmen. Die oben genannten rechtlich großen Unternehmen sind bereits ein Jahr früher betroffen. Bei beiden genannten Gruppen sind da häufig Firmen, die in der Vergangenheit noch wenig Erfahrungen sammeln konnten – weil es schlicht nicht nötig war. Für diese wird die ESG-Berichterstattung besonders herausfordernd.
Hat der Gesetzgeber hier schon an alles gedacht oder gibt es etwas, wo Sie sich mehr Klarheit wünschen würden?
Die Idee, die hinter den verschiedenen Regulatorien liegt, und auch die Mechanik dahinter leuchtet den Unternehmen ein. Aber was den Schmerz verursacht, ist der extreme Detaillierungsgrad und der damit verbundene enorme Verwaltungsaufwand. Auch ist die Umsetzung nicht in jedem Land zu 100 Prozent identisch. Mitunter gibt es in einem Land eine Vereinfachungsvorschrift, die es in einem anderen Land nicht gibt. Das macht es insbesondere für grenzüberschreitend tätige Firmen noch schwieriger. Ich hätte mir mit Blick auf die Unternehmen in einer Zeit umfangreicher ESG-Regulatorik einen – zumindest zu Beginn – geringeren Detaillierungsgrad beziehungsweise global geltende Vereinfachungsvorschriften gewünscht, damit die Herausforderung mit vertretbarem Aufwand gestemmt werden kann.
Wenn eine neue Regulatorik kommt, versucht man nach unserer Beobachtung häufig, diese so spät wie möglich zu erfüllen. Oft wird auch gehofft, dass man doch nicht betroffen ist, oder dass noch irgendeine Ausnahmeregelung kommt.
Gibt es so etwas wie ein weit verbreitetes Missverständnis, wenn es um Nachhaltigkeit und Steuern geht?
Alle haben sehr viel zu tun, auch die Steuerabteilungen. Die Komplexität wächst ständig. Wenn eine neue Regulatorik kommt, versucht man nach unserer Beobachtung häufig, diese so spät wie möglich zu erfüllen. Oft wird auch gehofft, dass man doch nicht betroffen ist, oder dass noch irgendeine Ausnahmeregelung kommt. Da viele Regelungen sehr komplex sind, lässt man gern andere Vorreiter sein – in der Hoffnung, dass diese First Mover effiziente Lösungen finden, an die man sich ‚dranhängen‘ kann. Best Practice ist im Markt stark gefragt. Das Missverständnis ist aus meiner Sicht, dass weltweite Zahlen zum Beispiel für das PCbCR oder die Mindestbesteuerung schnell nebenbei und trotzdem compliant ermittelt werden können. Die veröffentlichten Zahlen haben Relevanz. Das zeigt sich bereits darin, dass Firmen das Thema Nachhaltigkeit für sich nutzen, um sich gegenüber den verschiedenen Stakeholdern entsprechend zu präsentieren und die Unternehmensmarke zu stärken. Allerdings sind solche Firmen noch eher die Minderheit.
Welche Rolle werden Steuerberater:innen bei Reporting, CO2 und allen mit Nachhaltigkeits-Aktivitäten verbundenen steuerlichen Fragestellungen künftig spielen?
Die Rolle der Steuerberater:innen wird immer wichtiger – dazu ein Beispiel: Wenn eine Firma Solar-Panels auf dem Dach installieren möchte, um den produzierten Strom für die eigene Produktion zu nutzen, überschüssigen Strom in das Netz einspeisen möchte und gleichzeitig auch seinen Mitarbeitenden ermöglichen möchte, mit dem selbst gewonnen Strom die E-Firmenwagen zu laden, dann haben sie bereits vielfältige steuerliche Herausforderungen. Abgesehen vom Reporting sind damit schon lohnsteuerliche, ertragsteuerliche, umsatzsteuerliche und stromsteuerliche Aspekte verbunden. Von Technik- und Rechnungsfragen ganz abgesehen.
Dieses umfassende vernetzte Denken wird immer wichtiger.
Aus meiner eigenen Beratungstätigkeit kann ich sagen, dass ich heute mit Abteilungen und Mitarbeitenden an einem Tisch sitze, denen ich früher in diesem Zusammenhang nie begegnet wäre. Die Steuerabteilung, das Rechnungswesen, Unternehmensstrateg:innen, Nachhaltigkeitsexpert:innen und Technikabteilung kommen immer öfter zusammen. Und das ist wichtig, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es ist für die Steuerabteilung immens wichtig geworden, die Themen zu kennen und von Beginn an involviert zu sein. Falls nicht, werden unter Umständen steuerliche Kosten verursacht, die nicht budgetiert sind oder vermeidbar gewesen wären. Dieses umfassende vernetzte Denken wird immer wichtiger. Zudem gehen wir davon aus, dass das CSRD-initiierte ESG-Reporting ebenso umfassend werden wird wie der Jahresabschluss – sowohl was seine Bedeutung betrifft als auch den Aufwand.
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