Auch die Steuerbranche leidet unter einem Fachkräftemangel. Egal ob in Steuerkanzleien, Steuerabteilungen oder der Finanzverwaltung – überall werden Nachwuchskräfte gesucht. Gewinnen kann in diesem „War for Talents" nur der Arbeitgeber, der die richtigen Anreize setzt.
Angehende Steuerberater werden gesucht
Steuerberater – ein Beruf mit Zukunft? Wenn es nach den aktuellen Stellengesuchen geht, muss diese Frage mit einem „Ja“ beantwortet werden. „Die jungen Bewerberinnen und Bewerber können sich ihre Kanzleien eigentlich aussuchen“, sagt Uwe Schramm, Studiengangsleiter RSW-Steuern und Prüfungswesen an der DHBW Stuttgart und Präsident der Steuerberaterkammer Stuttgart. Nicht nur Steuerberater, auch Steuerfachwirte und Steuerfachangestellte werden laut Schramm gesucht. Dazu kommt: Im Bereich Steuern hält die Digitalisierung Einzug. Berufsanfänger, die IT- und Steuerkenntnisse vorweisen können, sind rar. „Wir suchen mittlerweile Profile, die noch nicht mal am Markt sind“, sagt Claudia Gläser. Gemeinsam mit ihrem Team verantwortet sie das Employer Branding & Recruiting bei Ernst & Young (EY). Der Mangel an Nachwuchskräften ist nach ihrer Meinung die Folge demografischer Entwicklungen, wodurch sich Bewerber auch anders positionieren könnten. „Der Markt hat sich gedreht. Ich bin der Überzeugung: Nicht die Bewerber stellen sich beim Unternehmen vor, sondern die Unternehmen beim Bewerber.“
Steuerberater – ein unbekannter Beruf?
Durch diese Ausgangslage rücken Employer Branding und Recruiting in den Fokus der Unternehmen. „Präsenz ist für uns sehr wichtig“, sagt Uwe Schramm. „Junge Leute haben oft keinen Bezug zum Beruf des Steuerberaters. Wir müssen also versuchen, in die Köpfe reinzukommen.“ Aus diesem Grund habe die Bundessteuerberaterkammer die Marke „Ihr Steuerberater“ kreiert, die nach eigenen Angaben „das umfassende Portfolio des Steuerberaters, die exzellenten Aufstiegschancen sowie sein krisensicheres Tätigkeitsfeld stärker in der Öffentlichkeit“ verankern solle.
Ich bekomme von den Kollegen an den Universitäten die Rückmeldung, dass sich nur wenige Studierende im Laufe ihres sehr breit gefächerten Studiums für die Spezialisierung Steuerberater entscheiden.
Studiengangsleiter Uwe Schramm
Laut der „Studentenstudie 2018“ von EY ist der Bereich Beratung und Prüfung allerdings keine unbeliebte oder unbekannte Branche, zumindest nicht bei Studierenden der Wirtschaftswissenschaften. Bei der Frage „Welche Branchen sind für Ihre beruflichen Pläne besonders attraktiv?“ belegte die Antwort „Beratung und Prüfung“ bei den Wirtschaftswissenschaftlern immerhin den ersten Platz. Trotzdem sieht Schramm in der Akademisierung Probleme. „Ich bekomme von den Kollegen an den Universitäten die Rückmeldung, dass sich nur wenige Studierende im Laufe ihres sehr breit gefächerten Studiums für die Spezialisierung Steuerberater entscheiden.“ Das müsse sich ändern.
Online Kanäle ersetzen keine Berufsmessen und Hochschul-Präsenz
Angesprochen werden die angehenden Steuer-Experten auf unterschiedlichste Weise. „Wir bespielen alle Kanäle gleichermaßen. Wir sind aktiv auf den Social-Media-Kanälen, auf Bewertungsplattformen, an Hochschulen und an Messen“, sagt Claudia Gläser von EY. Doch nicht nur die “Big 4” präsentieren sich als Vorzeige-Arbeitgeber im Internet, auch Kanzleien mit weniger Mitarbeitern wollen von potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern auf den verschiedenen Plattformen gefunden werden. Dennoch ist den Unternehmen besonders der direkte Kontakt mit den potentiellen Mitarbeitern wichtig. „Die persönliche Ansprache und das Kennenlernen ist ein wesentliches Element“, sagt Uwe Schramm. Hier sieht Christian Michel, Referatsleiter Recht und Berufsrecht beim Deutschen Steuerberaterverband (DStV), eine Chance für kleinere und mittelständische Steuerberatungskanzleien. „Die Kanzleien erhalten durch die Hochschulkontakte leichter die Möglichkeit, sich etwa durch die Bereitstellung von Praktikumsplätzen oder die Präsenz auf Absolventenbörsen als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und damit zukünftige Fachkräfte an die Kanzlei zu binden.“
Claudia Gläser setzt ebenfalls auf das persönliche Kennenlernen. „Ich würde es, 'EY zum Anfassen' nennen: Studierende können sich ein erstes Bild von EY machen und erfahren mehr über unsere Werte, Ziele und unseren Anspruch ‚builing a better working world‘. Deshalb ist uns die Präsenz an den Hochschulen besonders wichtig. Dabei geht es EY nicht nur um fachliche Themen, sondern immer mehr auch darum, wie sich Disruption, Digitalisierung und neue Technologien auf die Arbeitswelt auswirken. Wir suchen Talente, die neben dem passenden Skillset auch das richtige Mindset mitbringen.“
Recruiting: Darauf legen angehende Steuerexperten wert
Und was müssen die Unternehmen mitbringen, damit sie von den angehenden Fachkräften als Wunscharbeitgeber ausgewählt werden? Darauf kann die Studentenstudie 2018 Antworten geben. Gefragt nach wichtigen Faktoren im Hinblick auf die Wahl des zukünftigen Arbeitgebers, nannten 57 Prozent den Faktor „Jobsicherheit“. Die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz ist den Studierenden sogar wichtiger als das Gehalt und mögliche Gehaltssteigerungen. Dieser Faktor landete bei der Befragung auf Platz zwei, gefolgt von den Faktoren „flache Hierarchien/Kollegialität“ und „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
Beim Thema Work-Life-Balance sind wir mit unseren Bemühungen noch nicht am Ende, aber wir haben auf jeden Fall einiges umgesetzt.
Claudia Gläser, EY
Uwe Schramm kann die Ergebnisse der Studie unterstreichen: „Die Generation, die jetzt in die Berufswelt eintritt, will vor allem Sicherheit.“ Dazu zählten klare Strukturen, klare Ansprechpartner und klare Arbeitszeiten. „Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Es darf nicht sein, dass Mehrarbeit zum Standard ernannt wird. Besser ist es, wenn die Kanzleien offen kommunizieren, dass es eben je nach Saison zu Überstunden kommen kann, die dann in einer anderen Zeit abgebaut werden können.“ Dass Überstunden in Kanzleien und Beratungsunternehmen in Kauf genommen beziehungsweise gefordert werden, ist nicht nur ein Klischee, das der Branche anhaftet. Schaut man sich auf den Bewertungsplattformen und in Chatforen um, so findet man genügend Berichte über unbezahlte Überstunden und lange Arbeitstage. „Dieses Image ist uns durchaus bewusst“, sagt Claudia Gläser. Die Rückmeldungen auf den Bewertungsplattformen und Social-Media-Kanälen werden von ihrer Abteilung sehr genau angeschaut. „Beim Thema Work-Life-Balance sind wir mit unseren Bemühungen noch nicht am Ende, aber wir haben auf jeden Fall einiges umgesetzt wie beispielsweise flexible Arbeitsmodelle, mobiles Arbeiten, Familien- und Haushaltsservices oder unsere Familienräume, die es bei einem Betreuungsengpass ermöglichen die eigenen Kinder stunden- oder auch tageweise mit ins Büro zu nehmen.“ Dass Überstunden bei EY aber nicht bezahlt werden, sei so nicht korrekt, so Gläser.
Jobsicherheit ist nicht das einzige Schlagwort, das die Recruiting-Experten in den Unternehmen als wichtig erachten. „Persönliche und fachliche Entwicklung, aber auch ein kollegiales Miteinander und Freude am Erfolg im Team stehen ganz oben auf der Agenda der Nachwuchskräfte“, sagt Ulf Hellert, COO Human Resources von KPMG. Der Wunsch nach Flexibilität sei bei den Berufsanfängern ebenfalls sehr ausgeprägt, weshalb gerade Themen wie flexible Arbeitszeitmodelle oder Home-Office-Lösungen stärker im Fokus stünden. Im Gegensatz zu Uwe Schramm kann Ulf Hellert durchaus eine Abkehr vom Hierarchiedenken erkennen. „Die meisten Bewerberinnen und Bewerber wünschen sich einen Austausch auf Augenhöhe und fordern kompetenzorientierte Arbeitsmodelle und Wertschätzung ein.“
Sicherheit und klare Ansagen auf der einen Seite, Flexibilität und flache Hierarchien auf der anderen – die Bandbreite der Wünsche der jüngeren Generation scheint groß zu sein. „Das ist ein Trend, dem sich alle Unternehmen, auch EY, stellen müssen. Die Ansprüche an die Arbeit sind je nach Generation und je nach Bewerber unterschiedlich“, so Claudia Gläser. Dass der Wunsch nach Sicherheit bei den Berufsanfängern so groß ist, sei angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation erstaunlich. In der Studentenstudie von EY zeigt sich dieser Wunsch besonders in der Antwort auf die Frage nach der für die beruflichen Pläne attraktivsten Branche: An erster Stelle steht dort der öffentliche Dienst.
Selbstständigkeit ist nicht mehr das große Ziel
Uwe Schramm kann den Wunsch nach Sicherheit noch in einem anderen Trend erkennen: „In meiner Generation war der Steuerberater die Lizenz zur Freiberuflichkeit. Die Generation Y und Z möchte aber gar nicht in der Selbstständigkeit arbeiten. Die Leute arbeiten gerne als angestellter Steuerberater und leisten gute Arbeit, wenn es dann aber darum geht, als Partner miteinzusteigen oder eine Kanzlei zu übernehmen, halten sie sich zurück.“ Das bekomme er als Präsident der Steuerberaterkammer Stuttgart besonders bei den Gesprächen nach der Bestellung zum Steuerberater zurückgespielt. Schramm denkt nicht, dass dieser Trend mit finanziellen Aspekten zu tun hat. „Dinge wie der Kaufpreis bei einer Kanzleiübernahme oder die Übernahme von Anteilen als Partner werden heutzutage sehr liquiditätsverträglich geregelt. Dass heutzutage ein junger Mensch 300.000 Euro sofort auf den Tisch legen muss, um eine Kanzlei zu bekommen, das gibt es eigentlich nicht mehr.“ Vielmehr sei es ein Generationentrend, der sich hier beobachten lasse.
Steuerkanzleien: Der „war for talents“ hat begonnen
Aktuell trifft ein großer Bedarf nach neuen Fachkräften auf eine Generation, für die neue Werte rund um die eigene Arbeit im Vordergrund stehen. Für die Unternehmen, die auf der Suche nach neuen Talenten sind, bedeutet dies, dass sie aktiv um diese Menschen werben müssen – und zwar mit einer Arbeitsumgebung, die den Ansprüchen der jüngeren Generationen gerecht wird. Gleichzeitig sollten sich die angehenden Steuerfachleute im Klaren sein: Der Beruf des Steuerberaters befindet sich aktuell im Wandel. IT-Skills, wie etwa analytisches Denken, aber auch ein Mindset, das offen ist für innovative Ideen, werden von den Unternehmen gesucht. Nach den richtigen Fachkräften suchen sowohl große und kleine Kanzleien, Beratungsunternehmen, Unternehmen mit Steuerabteilungen und die Finanzbehörden. „Diesen 'war for talents' erleben wir wie alle anderen in unserer Branche auch“, sagt Claudia Gläser. Seien die Young Talents aber erst einmal an Bord, komme es gerade bei der Berufsgruppe Steuerberater zu der geringsten Fluktuation. Uwe Schramm sieht ebenfalls kein Jobhopping-Phänomen in der Branche: „Bietet man den Leuten gute Bedingungen, bleiben sie auch in der Kanzlei.“