Fast sämtliche Recruiting-Maßnahmen müssen sich derzeit in virtueller Form abspielen – auch in der Steuerberatungsbranche. Wie das funktioniert, welche Auswirkungen das auf die Anzahl der Bewerber und die Steuerberaterexamina hat, weiß Dr. Matthias Weber, Leiter des Personalmarketings bei Rödl & Partner.
Herr Dr. Weber, was hat die Pandemie im Bereich Recruiting in Ihrem Haus verändert?
Dr. Matthias Weber: Die Antwort ist einfach: alles. Unsere sämtlichen Aktivitäten in den Bereichen Sponsoring, Vorträge und Messen sind virtuell geworden. Nachdem Anfang des vergangenen Jahres viele Hochschulen und Organisationen Karrieremessen zunächst abgesagt hatten, fanden sie dann in der zweiten Jahreshälfte doch noch in virtueller Form statt.
Wie erleben Sie diese Form der Kontaktaufnahme mit Interessent*innen?
Natürlich ist es wichtig, dass man sich in irgendeiner Form austauschen kann, und das tun wir jetzt via Skype oder MS Teams. Allerdings beschränkt sich die Kommunikation auf eine reine Frage-Antwort-Situation, der persönliche Kontakt kommt zu kurz. Es fällt schwerer einzuschätzen, ob jemand von der Persönlichkeit als Beraterin oder Berater zu uns passen könnte, wenn man ihm oder ihr nur via Bildschirm begegnet. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass die Interessent*innen noch viel besser vorbereitet sind als im klassischen Face-to-face-Termin auf der realen Messe früherer Tage.
Sie stellen also auch Vorteile bei der Art, sich virtuell als Beratungsunternehmen zu präsentieren, fest?
Ja, genau, niemand kommt mehr an einen Messestand und denkt vielleicht, wir stellten Autoteile her; das gab es früher schon mal. Durch die virtuellen Veranstaltungen können wir jetzt außerdem Videos integrieren, die viel intensiver wahrgenommen werden, als es etwa auf einem Infoscreen im Rahmen einer realen Messe der Falle wäre. So gibt es Virtual Reality-Rundgänge durch unsere großen Standorte in Deutschland, die sehr gut ankommen.
Schwierig ist dann wieder der folgende Schritt: Denn nach einem für beide Seiten positiv verlaufenen Messegespräch hätte man ja in früheren Zeiten einen Interessenten vielleicht zu einem zunächst informellen Besuch ins Kanzleigebäude eingeladen. Hier bleibt momentan wieder nur Skype.
Die Einstellung erfolgt aber schon per realem Zusammentreffen, oder?
Dafür führen wir nach wie vor die klassischen Bewerbungsgespräche, natürlich unterlegt durch ein Hygienekonzept und unter Wahrung sämtlicher Abstandsregeln. Hier sehen wir klar eine Grenze der virtuellen Möglichkeiten und halten ein persönliches Zusammentreffen für unerlässlich, ehe jemand tatsächlich eingestellt wird.
Wir wollen vor allem aktiv auf die neuen Kolleg*innen zugehen und nicht warten, bis sie von sich aus anrufen.
Auch das Onboarding anschließend ist sicherlich komplizierter geworden...
Wir haben einen Fahrplan gemacht, dessen wesentlichstes Ziel es ist, Verbundenheit trotz der Distanz zu schaffen, denn schließlich arbeiten momentan etwa 80 Prozent unserer Mitarbeiter*innen mobil. Dabei wollen wir vor allem aktiv auf die neuen Kolleg*innen zugehen, nicht warten, bis sie von sich aus anrufen.
Sowohl vorgesetzte Partner*innen als auch Mitglieder des Teams suchen öfter am Tag den Kontakt via Skype und fragen nach, ob eine Aufgabe gut läuft oder ob Unterstützung notwendig ist. Das hilft den Neuen, die zwar virtuell in allen Start- und Mentoring-Programmen drin sind, aber eben keinen eigenen Einführungstag mit gemeinsamem Essen und der Vorstellung von Prof. Dr. Christian Rödl haben.
Wie hat sich die Zahl der Interessent*innen im vergangenen Jahr entwickelt? Hatten Sie mehr Probleme als in der Vergangenheit, qualifizierte Kräfte für sich zu begeistern?
Tatsächlich ist die Anzahl der Bewerber*innen – im akademischen Sektor – nahezu konstant geblieben. Lediglich im ersten Quartal 2020 hatten wir etwas weniger Zulauf, doch da herrschte allerorten ein Abwarten vor. Die Studierenden waren erst einmal überlastet, da ja auch der gesamte Lehrbetrieb an den Hochschulen nur noch virtuell stattfand, und hielten sich bei weiteren virtuellen Aktivitäten erst einmal zurück. Das hat sich aber schnell wieder verändert. Und doch gilt generell: Es ist ein schwieriger Markt, es gibt wenig Absolventen, die sich wirklich für Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Rechtsberatung begeistern, und um die konkurrieren alle.
Auch die Vorbereitung auf das Steuerberaterexamen war im zurückliegenden Jahr anders. Wie beurteilen Sie dies?
Für uns hat sich generell nicht viel verändert; unsere Vorjahresabsolventen haben nun eben virtuell über ihre Erfahrungen berichtet und ihre Tipps an die Kandidat*innen weitergeben. Auch die externen Repetitorien liefen virtuell ab, die Anbieter haben sich schnell und professionell auf die neue Situation eingestellt. Ob das auch den Prüflingen gelungen ist, ist noch offen, da die mündlichen Prüfungen derzeit noch laufen. Erst danach wird man sagen können, ob es einen Corona-Bonus gab oder die virtuelle Vorbereitung vielleicht nicht wirklich gut funktioniert hat.
Es ist im Moment sehr, sehr schwierig, Steuerfachangestellte oder Bilanzbuchhalter zu rekrutieren.
Eine weitere Bewerbergruppe ist das nicht-akademische Personal. Wie sprechen Sie dieses aktuell an?
Es ist im Moment sehr, sehr schwierig, Steuerfachangestellte oder Bilanzbuchhalter zu rekrutieren. Denn kaum jemand sucht im Moment die Veränderung, und zumeist ist das Klima vor allem in den kleineren Kanzleien ja auch ganz gut, wenngleich die Karrierechancen vielleicht fehlen. Doch auf sie verzichten die meisten momentan zugunsten der sicheren Stellung.
Was die Suche nach Auszubildenden anbelangt, gilt nahezu dasselbe, allerdings schon seit Jahren. Es fällt der gesamten Branche nach wie vor unheimlich schwer, Schüler*innen zu vermitteln, dass das Steuerfach ein spannendes Betätigungsfeld sein kann. Insofern sind unsere Aktivitäten beim nicht-akademischen Personal im Moment nahezu gleich null.
Die Aspekte Homeoffice und Digitalisierungsgrad einer Kanzlei gelten seit einiger Zeit als Pluspunkte bei der Personalgewinnung. Stellen Sie hier ein verstärktes Bewusstsein bei den Interessent*innen fest?
Durchaus. Während vor einigen Jahren kaum jemand offen danach gefragt hätte, ob er auch einen Teil der Arbeitszeit mobil arbeiten kann, ist diese Frage durch die Pandemie salonfähiger geworden – und wird dementsprechend häufiger gestellt. Wir können sie bejahen, da wir bereits vor etwa zehn Jahren ein Konzept erstellt haben, dass die mobile Tätigkeit vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Karriere und Familie generell ermöglichte. Allerdings überwog bis zum Jahr 2020 bei einigen Partnern die Skepsis, die sich inzwischen verflüchtigt hat.
Was das Thema "Digitalisierung" angeht: Die Geschäftsleitung hat dafür gesorgt, dass wir schon sehr früh Millionenbeträge in die weltweite IT-Infrastruktur investiert haben, ganz einfach, weil wir davon ausgehen, dass der technische Fortschritt unsere Branche nachhaltig verändern wird. Das ist jetzt natürlich eine Riesenhilfe – und gleichzeitig ein gutes Argument für uns im Gespräch mit unseren Bewerber*innen.
Rödl & Partner
Die Rechtsanwälte, Steuerberater, Unternehmens- und IT-Berater und Wirtschaftsprüfer sind an 109 eigenen Standorten in 49 Ländern vertreten. Der Stammsitz ist in Nürnberg. Die Mandanten vertrauen weltweit 5.120 Kolleginnen und Kollegen.