Zukunft der Steuerberatung

Geht es den Steuerberatern bald wie einst den Dinosauriern? Ginge es nach so manchen Studien und Berichten, steht der Steuerbranche bald die große Eiszeit bevor. Doch ist an der Angst vorm Aussterben überhaupt etwas dran?

Begann die Diskussion über die Zukunftsperspektiven für Steuerberater mit einem Übersetzungsfehler? 2013 veröffentlichten der Ökonom Carl Benedikt Frey und der Informatiker Michael Osborne von der Oxford University eine kleine, aber dennoch wegweisende Studie. Diese besagte, dass 47 Prozent aller Berufe in Amerika in der Zukunft durch Automatisierung und Digitalisierung wegfallen könnten. Unter den 702 Berufen, die die beiden Wissenschaftler auf ihre Zukunftsperspektiven hin prüften, war auch der Beruf des „tax preparer“. Dieser, so Osborne und Frey, könnte in 20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent von Maschinen erledigt werden. Die Studie wurde seitdem vielfach zitiert, adaptiert, kritisiert und auf Deutschland übertragen. Die „Süddeutsche Zeitung“ ließ aus den Studienergebnissen gar eine Suchmaschine programmieren. Fügen Suchende darin das Wort „Steuerberater“ ein, erhalten sie die Antwort, dass dieser Beruf mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent durch einen Computer ersetzt werden wird.

Digitalisierung in der Steuerberatung: Ein Steuerberater ist mehr als ein Buchhalter

Das Problem hierbei: „Den Begriff tax preparer mit Steuerberater zu übersetzen, ist natürlich falsch. Darunter kann man mehr einen Buchhalter verstehen, oder einen Steuerberater, der sich ausschließlich mit der Steuerdeklaration beschäftigt“, sagt Thomas Egner. Der Professor ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebliche Steuerlehre, an der Universität Bamberg und Steuerberater. In seinem Buch „Digitale Geschäftsmodelle in der Steuerberatung“, das 2018 im Springer Gabler Verlag erschienen ist, schreibt er: „Auch wenn offensichtlich ist, dass die Übersetzung des tax preparers als Steuerberater unzutreffend ist, ist demgegenüber unzweifelhaft zutreffend, dass sich auch das Geschäftsmodell des steuerberatenden Berufsstands durch die Digitalisierung verändern wird und auch bereits verändert hat.“

Mit der Begründung des Übersetzungsfehlers allein ist die Frage nach den Zukunftsperspektiven des Steuerberaters also nicht erledigt, zumal die Studie von Osborne und Frey nicht die einzige ist, die auf den Beruf des Steuerberaters einige Veränderungen zukommen sieht. Der „Job Futuromat“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liefert zu der Suchanfrage „Steuerberater/in“ folgendes Ergebnis: „Der Arbeitsalltag dieses Berufs besteht im Wesentlichen aus 11 verschiedenen Tätigkeiten, 8 davon und somit 73 Prozent könnten schon heute Roboter übernehmen.“ 

Zukunftsperspektiven für Steuerberater: Wann sind die fetten Jahre vorbei?

Diese düsteren Zukunftsaussichten widersprechen allerdings der aktuellen Arbeitsrealität vieler Kanzleien: Die Geschäfte laufen gut, der Berufsstand wächst und die Unternehmen suchen nicht selten händeringend nach Steuerexperten. Laut der Berufsstatistik 2018 der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) ist die Anzahl der Mitglieder in den Steuerberaterkammern 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 1.082 auf 97.653 gestiegen.

Lesen Sie auch: Wieso die Digitalisierung Ihrer Kanzlei den Kanzleiwert beeinflusst

In der Pressemitteilung, in der die Kammer auf die Statistik verweist, heißt es dazu: „Von wegen „wegdigitalisiert“ – entgegen mancher negativen Prognosen zur Zukunft der allgemeinen Arbeitswelt setzt der steuerberatende Beruf seinen ununterbrochenen Erfolgskurs fort.“ Thomas Hund, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Recht und Berufsrecht der Bundessteuerberaterkammer, unterstreicht diese Aussage. „Die Angst, dass der Beruf durch die Digitalisierung einen Bedeutungsverlust erlebt, ist unbegründet. In einer fortlaufend digitalisierten Arbeitswelt wird aufgrund des komplexen deutschen Steuerrechts weiterhin Beratungsbedarf beim Mandanten bestehen.“ Allerdings sei zu erwarten, dass sich durch den Megatrend Digitalisierung der Fokus innerhalb der Steuerberatung verändern werde.

Zukunft der Steuerberatung

Auch eine andere Erfahrung der Branche trügt das negative Zukunftsbild vom Untergang des Steuerberaters: „Diese Angst gab es bereits seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts“, sagt Professor Thomas Egner. 1968 ist in Deutschland die Mehrwertsteuer in Kraft getreten. Um der Verbuchung Herr zu werden, schlossen sich Steuerberater genossenschaftlich zusammen und setzten EDV ein. Die Datev wurde gegründet. Damit begann eine ständige Veränderung. „Damals hat die Digitalisierung des steuerberatenden Berufs begonnen. Zuerst gab es Lochstreifen, dann Magnetbänder, dann Disketten, dann CDs. Jedes Mal hieß es wieder, dass eine ganze Generation von Steuerberatern abgehängt wird, weil sie diesen technologischen Sprung nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell nicht schaffen würden“, sagt Egner. „Insofern ist das, was wir heute diskutieren, seit den 60er-Jahren bekannt. Und damit beruhigen sich auch viele Steuerberater: Es ist die letzten 80 Jahre gut gegangen, es wird auch die nächsten Jahre gut gehen.“

Steuerberater - ein Beruf mit Zukunft? In der Zukunftsfrage ist sich der Berufsstand uneinig

Doch wird es auch die nächsten Jahre gut gehen? In dieser Frage scheint die Branche uneinig zu sein. Dabei zeichnet sich schon lange ab, dass die momentanen Entwicklungen viel disruptiver sind als die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte. „Robotik und Künstliche Intelligenz entfachen derzeit eine neue industrielle Revolution“, sagt Thomas Hund. Jede Steuerkanzlei müsse ihre eigene Strategie zur Umsetzung der Digitalisierung entwickeln. Die Bundessteuerberaterkammer, aber auch die 21 Steuerberaterkammern unterstützten den Berufsstand dabei und legten ein besonderes Augenmerk auf diese Themen, so Thomas Hund.

„Robotik und Künstliche Intelligenz entfachen derzeit eine neue industrielle Revolution“
Thomas Hund, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Recht und Berufsrecht der Bundessteuerberaterkammer


Ob aber jede Kanzlei auf den vor ihr liegenden Wandel vorbereitet ist, ist fraglich. „Im Moment ist zu beobachten, dass ein Teil der Steuerberater versucht, zu konservieren. Sie begründen das damit, dass es ihnen heute sehr gut geht“, sagt Thomas Egner. „Allerdings kann die Digitalisierung den Wandel schnell herbeiführen. Deshalb ist es ratsam, in die Zukunft zu schauen. Wir haben eine gute Situation, aber immer mehr Kanzleien sind davon überzeugt, dass das auf Dauer nicht so bleiben wird, wenn sich der Berufsstand nicht ändert.“

Wie die Digitalisierung den Beruf des Steuerberaters verändern kann

Also doch zurück zu Osborne und Frey und der Frage, in welchen Bereichen der Steuerberater ersetzbar ist. „Heute erledigen Steuerberater häufig die Buchführung, die Steuerdeklaration, manchmal eine Betriebswirtschaftliche Auswertung und sie erläutern vielleicht den Mandanten ein paar Kennzahlen“, so Egner. „Aber schaut man sich die riesigen Datenbestände an, über die Steuerberater verfügen oder in Zukunft verfügen werden, ist das ein ziemlich maues Angebot. Dabei könnten Big Data und Smart Data auch in der Steuerkanzlei eingesetzt werden.“

Lesen Sie auch: Was eine digitale Kanzlei ausmacht

Während intelligente, digitale Lösungen die Deklaration übernehmen, eröffnen sich für den Berufsstand andere wertschöpfende Arbeiten. „Bei der tatsächlichen Beratung ist noch sehr viel Potential nach oben für die Kanzleien“, sagt Thomas Egner. Ein weiterer Trend zeichne sich heute schon deutlich ab: „In vielen Branchen steigen die spezifischen Anforderungen im Wirtschafts- und Steuerrecht. Damit Steuerkanzleien damit umgehen können, ist eine Spezialisierung auf eine Branche von Vorteil.“

Herausforderungen der Zukunft: Was wird aus den Ein-Mann-Kanzleien?

Digitalisierung, Beratung, Spezialisierung – dieser Dreiklang hört sich besonders für eine Form der Kanzleien gefährlich an – der Ein-Mann-Kanzlei. „Ein Steuerberater ist nicht plötzlich omnipotent und EDV-Fachmann, Betriebswirt und Steuerjurist in einem“, sagt Thomas Egner. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in Teams könne dieses Problem lösen, ebenso wie Kooperationen. „Was es dann nicht mehr geben wird, ist die Ein-Mann-Kanzlei. Heute sind 60 Prozent aller Kanzleien so organisiert. Meine persönliche Schätzung: In 20 Jahren werden es fünf Prozent sein.“

Der Anteil der Einzelpraxen wächst seit mehr als zehn Jahren nur langsam.
Thomas Hund

Diese radikale Veränderung spiegelt sich allerdings (noch) nicht in der Berufsstatistik der Bundessteuerberaterkammer wieder. „Der Anteil der Einzelpraxen wächst seit mehr als zehn Jahren nur langsam und liegt derzeit bei circa 40.000 Einzelpraxen. Im Gegensatz dazu wächst der Anteil von Steuerberatungsgesellschaften jährlich um circa zwei bis drei Prozent im gleichen Zeitraum und somit wesentlich schneller“, sagt Geschäftsführer Thomas Hund. Seine Prognose für die Zukunft? „Die beruflichen Zusammenschlüsse nach Paragraph 56 Absatz 1 des Steuerberatungsgesetz werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach eher rückläufig entwickeln.“ Grund dafür sieht er in einer anderen Entwicklung. „Dies liegt vor allem daran, dass junge Steuerberaterinnen und Steuerberater ein Anstellungsverhältnis bevorzugen und nicht den Weg in die Selbstständigkeit gehen. Dies ist aber ein gesellschaftlicher Trend, von dem auch andere Branchen betroffen sind.“

Steuerberater der Zukunft: Die Anforderungen steigen – auch an die Arbeitgeber

In einer Branche, in der also mehr Teams entstehen, braucht es Menschen mit Management-Qualitäten – egal, ob diese Teams hierarchisch oder agil organisiert sind. „Kanzleimanagement kommt im klassischen Steuerrecht, das gelehrt wird, nicht vor“, sagt Thomas Egner. Das müsse sich an den Universitäten ändern. Ebenso sollten schon während des Studiums die Kommunikationskompetenzen bei den angehenden Steuerexperten ausgebaut werden. Eine weitere Anforderung sei ein gewisses Maß an IT-Kompetenz.

Besonders die größeren Kanzleien haben das Problem, dass die jetzigen Studierenden auf eine andere Work-Life-Balance Wert legen
Professor Thomas Egner


Die Ansprüche steigen aber nicht nur auf der Seite der Arbeitgeber, auch vonseiten der jüngeren Generation gibt es Forderungen an die Branche. „Besonders die größeren Kanzleien haben das Problem, dass die jetzigen Studierenden auf eine andere Work-Life-Balance Wert legen“, so Egner. „Das ist auch ein Generationenkonflikt.“

Der Steuerberater – ein Dinosaurier?

Stirbt der Beruf des Steuerberaters angesichts dieser prognostizierten und zum Teil schon jetzt erkennbaren Veränderungen und Herausforderungen also aus? „Nein, Angst um die eigene berufliche Zukunft sollten die Menschen, die sich für den Beruf des Steuerberaters entscheiden, nicht haben“, sagt Thomas Egner. „Sie müssen nur wissen, dass sie in Zukunft andere Dinge tun werden, wie die, die häufig heute ein Steuerberater ausübt.“ 

Schlagworte zum Thema:  Steuerberatung, Change Management