Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezirksdirektor innerhalb einer Vertriebsorganisation einer Bausparkasse als Bausparkassenvertreter
Leitsatz (amtlich)
Der Bezirksdirektor einer Bausparkasse, die den Vertrieb ihrer Dienstleistungen so organisiert hat, daß die Tätigkeit des Bezirksdirektors unentbehrliche Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von ihnen vermittelten Abschlüsse ist, kann Bausparkassenvertreter i.S. des § 4 Nr. 11 UStG sein.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 11; HGB § 84
Verfahrensgang
FG Köln (Dok.-Nr. 0145389; EFG 1998, 699) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1986 für die Bausparkasse Schwäbisch Hall zusammen mit Herrn B als Bezirksdirektor tätig. Der Tätigkeit lag ein Bausparkassen-Vertretervertrag zugrunde, der unter anderem folgende Bestimmungen enthielt:
"1. Stellung der Bezirksdirektoren
1.1 Die Bezirksdirektoren sind selbständige Handelsvertreter im Sinne der §§ 84 ff. des Handelsgesetzbuches.
1.2 Die Bezirksdirektoren sind für die Bausparkasse als Einfirmenvertreter tätig…
2. Tätigkeitsgebiet und Aufgaben der Bezirksdirektoren
2.1 Die Bezirksdirektoren haben in dem ihnen von der Bausparkasse bezeichneten Gebiet die bauspargeschäftliche Markterschließung sicherzustellen.
Die Bezirksdirektoren fördern intensiv die Vermittlungsbereitschaft und Vermittlungstätigkeit der Bezirksleiter, der Mitarbeiter genossenschaftlicher Banken sowie anderer Vermittler. Dabei haben sie die Zusammenarbeit mit den genossenschaftlichen Banken zu pflegen und deren Interessen zu wahren.
Die Bezirksdirektoren haben neue Mitarbeiter als Bezirksleiter zu gewinnen, ihre Einarbeitung sowie die Fort- und Weiterbildung zu gewährleisten.
Die bauspargeschäftliche Verantwortung für das Tätigkeitsgebiet obliegt den Bezirksdirektoren gemeinsam.
Die Bezirksdirektoren unterstützen sich gegenseitig und stimmen die Aufgabenverteilung mit der Bausparkasse und untereinander ab.
…
3. Provisionen
3.1 Die Bezirksdirektoren haben einen gemeinsamen Anspruch auf eine Provision von 16 % der Abschlußgebühr für jeden während der Dauer des Bausparkassen-Vertretervertrags innerhalb ihres Tätigkeitsgebiets vermittelten Bausparvertrag.
3.2 Beträgt die Bausparsumme mehr als DM 400.000,― erhalten die Bezirksdirektoren für die Bausparsumme, die über DM 400.000,― hinausgeht, die Hälfte des unter TZ 3.1 festgelegten Provisionssatzes.
3.3 Über die Verteilung der Provisionen stimmen sich die Bezirksdirektoren untereinander ab. Die getroffene Regelung ist der Bausparkasse unverzüglich mitzuteilen. Die entsprechende Leistung hat für die Bausparkasse schuldbefreiende Wirkung."
Dementsprechend wurde auch verfahren.
Aufgrund einer Betriebsprüfung sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) in der Tätigkeit des Klägers als Bezirksdirektor umsatzsteuerpflichtige Leistungen an die Bausparkasse und verneinte eine steuerfreie Tätigkeit als Bausparkassenvertreter (Umsatzsteuerbescheid vom 14. Dezember 1988).
Die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, der Kläger habe keine berufstypische Tätigkeit als Bausparkassenvertreter ausgeübt, da er die Bausparkassenverträge nicht selbst vermittelt habe; seine Umsätze seien deshalb nicht nach § 4 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (im folgenden: UStG) steuerfrei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 699 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 4 Nr. 11 UStG. Er vertritt die Auffassung, er sei Bausparkassenvertreter i.S. des § 92 Abs. 5 des Handelsgesetzbuches (HGB) gewesen. Damit seien auch die Voraussetzungen des § 4 Nr. 11 UStG erfüllt (Hinweis auf Senatsurteile vom 29. Januar 1998 V R 41/96, BFH/NV 1998, 1004, und vom 9. Juli 1998 V R 62/97, BFHE 187, 56, BStBl II 1999, 253).
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 0 DM herabzusetzen.
Das FA ist der Revision des Klägers entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Der Kläger war als Bezirksdirektor nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig und damit Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG). Da der Kläger und B ihre Provisionen gegenüber der Bausparkasse getrennt abrechneten, durfte das FG den Sachverhalt dahin würdigen, daß der Kläger selbständig und nicht gemeinsam mit B unternehmerisch tätig war.
2. Die Umsätze des Klägers waren entgegen der Ansicht des FG nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei.
Nach dieser Vorschrift sind unter anderem die Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter steuerfrei.
a) Der Kläger war Bausparkassenvertreter. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Begriff des Bausparkassenvertreters im handelsrechtlichen Sinne zu verstehen (Urteil in BFHE 187, 56, BStBl II 1999, 253). Bausparkassenvertreter ist demnach, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Bausparverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 92 Abs. 1 und 5 HGB). Handelsvertreter ist nach § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist Handelsvertreter auch derjenige, der ständig damit betraut ist, für die Erweiterung der Umsätze des Unternehmers zu wirken (BGH-Urteile vom 24. Juni 1971 VII ZR 223/69, BGHZ 56, 290, 293, und vom 22. Juni 1972 VII ZR 36/71, BGHZ 59, 87, 91). Es reicht aus, daß seine Tätigkeit, so wie der Unternehmer den Vertrieb seiner Waren oder Dienstleistungen organisiert hat, "unentbehrliche Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von ihnen vermittelten Abschlüsse gewesen ist". Der Handelsvertreter braucht bei den einzelnen Vertragsabschlüssen nicht persönlich mitzuwirken. Es kann genügen, daß er sich der Einstellung und Betreuung der ihm unterstellten Vermittler zu widmen hat. So kann es sein, wenn zwischen dem Unternehmer und dem Vermittler eine mittlere Stufe (auch als Generalvertreter bezeichnet) eingerichtet wird. Wenn die zwischengeschaltete Person nach dem wirtschaftlichen Erscheinungsbild dem eines echten Generalvertreters mit eigenem Vertreterstab nahekommt, ist sie als Handelsvertreter und, wenn sie der Vermittlung von Versicherungs- und Bausparkassenverträgen dient, ist sie als Versicherungs- und Bausparkassenvertreter zu beurteilen.
Nach diesen Grundsätzen war der Kläger Bausparkassenvertreter. Die Vertragsparteien waren ausdrücklich davon ausgegangen, daß der Kläger selbständiger Handelsvertreter i.S. der §§ 84 ff. HGB sein sollte. Die Bausparkasse Schwäbisch Hall hatte den Vertrieb ihrer Dienstleistungen so organisiert, daß die Tätigkeit des Klägers unentbehrliche Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von ihnen vermittelten Abschlüsse gewesen ist. Nach dem wirtschaftlichen Erscheinungsbild wurde der Kläger wie ein echter Generalvertreter mit eigenem Vertreterstab tätig. Das Fehlen unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zwischen dem Kläger und seinen nachgeordneten Untervertretern hindert seine Eigenschaft als Handelsvertreter und Bausparkassenvertreter nicht (BFH in BFHE 187, 56, BStBl II 1999, 253).
b) Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Der in § 4 Nr. 11 UStG bezeichnete Bausparkassenvertreter braucht ―wie dargelegt― bei den einzelnen Vertragsabschlüssen nicht persönlich mitzuwirken. Auch wenn seine Tätigkeit nur mitursächlich für die von den Untervertretern vermittelten Abschlüsse ist, handelt es sich um die berufstypische Tätigkeit eines Bausparkassenvertreters.
3. Die Befreiung der Umsätze des Klägers ist auch gemeinschaftsrechtlich unbedenklich. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger Kredite vermittelt hat (Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG ―Richtlinie 77/388/EWG―) oder "Umsätze - einschließlich der Vermittlung - im Einlagengeschäft" getätigt hat (Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG; vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 11. Juli 1996 Rs. C-306/94 - Régie dauphinoise, Slg. 1996, I-3695). Nach der Protokollerklärung 5 zu Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG werden die Tätigkeiten der Bausparkassenvertreter von Art. 13 Teil B Buchst. d dieser Richtlinie erfaßt. Offensichtlich sollen die Bausparer auch insoweit nicht mit Umsatzsteuer belastet werden, als die Kosten der Bausparkassenvertreter in die gemäß § 4 Nr. 8 UStG steuerfreien Leistungen der Bausparkassen an die Bausparer eingehen. Dieser Gesetzeszweck würde nicht erreicht, wenn nur die Leistungen der Untervertreter und nicht auch die Leistungen der übergeordneten Bezirksdirektoren an die Bausparkasse steuerbefreit wären (vgl. zu Leistungen eines Rechenzentrums an eine Bank im Überweisungsverkehr und Wertpapierhandel EuGH-Urteil vom 5. Juni 1997 Rs. C-2/95 - SDC, Slg. 1997, I-3017, und zur Verschaffung von Versicherungsschutz EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96 - Card Protection Plan Ltd., Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht 1999, 157).
Fundstellen
Haufe-Index 56603 |
BFH/NV 1999, 1708 |
BStBl II 1999, 686 |
BFHE 189, 192 |
BFHE 2000, 192 |
BB 1999, 2019 |
DB 1999, 1988 |
DStR 1999, 1562 |
DStRE 1999, 842 |
HFR 1999, 1009 |
StE 1999, 592 |
UR 1999, 454 |