Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Verhältnisse i. S. d. §15 a UStG
Leitsatz (NV)
Eine Änderung der Verhältnisse i. S. d. §15 a UStG liegt auch vor, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den Folgejahren Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (Anschluß an das Senatsurteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93, BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370).
Normenkette
UStG 1980 § 15a
Verfahrensgang
Tatbestand
1. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) vermietete im Jahre 1982 u. a. von ihm errichtete Wohnungen an eine Zwischenmieterin. Er verzichtete auf die Steuerbefreiung und zog Vorsteuerbeträge von seiner Umsatzsteuerschuld ab. Nachdem die Zwischenmieterin 1984 illiquide geworden war, schloß der Kläger mit einer weiteren Zwischenmieterin über die bereits endvermieteten Wohnungen neue Zwischenmietverträge zu herabgesetztem Mietzins. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte die neuen Zwischenmietverträge nicht an und berichtigte in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 1984 und 1985 die Vorsteuerbeträge nach §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980.
2. Die Klage hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 272 veröffentlicht.
3. Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von §15 a UStG 1980. Im Streitfall hätten sich die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse durch den Abschluß neuer Zwischenmietverträge zu neuen Bedingungen geändert. Entscheidend sei, ob die Verwendung des Wirtschaftsguts in den folgenden Kalenderjahren zu einer anderen Beurteilung führe als im Jahr der erstmaligen Verwendung. Eine andere Beurteilung trete auch ein, wenn sich zwar die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert haben, es aber bei geläuterter Rechtsauffassung an der Ausführung steuerpflichtiger Umsätze fehle. Der Kläger handele endlich auch dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwider, wenn er entgegen seinem ursprünglichen Verzicht auf die Steuerbefreiung nunmehr erkläre, er habe von Anfang an steuerfreie Umsätze ausgeführt. Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben, die Umsatzsteuer des Klägers wie zuvor festzusetzen und insoweit die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Eine Maßgeblichkeit des Verfahrensrechts für das Erstjahr der Beurteilung lasse sich aus der Vorschrift des §15 a UStG 1980 nicht herleiten. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Dezember 1993 V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) führe zu einer unzulässigen Analogie zuungunsten des Steuerpflichtigen. Hierbei würden die Regelungen der §15 und §15 a UStG 1980 verquickt.
Mit Schriftsatz vom 24. Juni 1997 hat der Kläger als Revisionsbeklagter "die Revision zurückgenommen". Weitere Erklärungen des Klägers sind nicht erfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat die Vorschrift des §15 a UStG 1980 unzutreffend angewendet. Seine Feststellungen erlauben indessen keine Entscheidung des Senats in der Sache.
1. Nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb der Folgejahre des Berichtigungszeitraums von fünf bzw. -- bei Grundstücken -- von zehn Jahren ändern.
2. Die Verhältnisse ändern sich im Sinne von §15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Mit Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370), auf dessen Begründung im einzelnen verwiesen wird, hat der erkennende Senat entschieden, daß ein Element der "maßgebenden Verhältnisse" i. S. des §15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 auch die dabei zugrunde gelegte rechtliche Beurteilung der Ausgangsumsätze ist. Diese Verhältnisse ändern sich daher auch, wenn die Abzugsmöglichkeit in den Folgejahren rechtlich anders beurteilt wird, die auf der unzutreffenden Beurteilung beruhenden Steuerfestsetzungen aber unabänderbar sind.
Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar und wird ihrem Sinn und Zweck gerecht. Sie berücksichtigt einerseits, daß nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 der Sofortabzug der gesamten Vorsteuersumme (z. B. wie hier bei Vorbezügen für die Herstellung eines Gebäudes) unter dem Vorbehalt steht, daß der Unternehmer die Eingangsleistungen während des gesamten Berichtigungszeitraums nicht für abzugsschädliche Umsätze i. S. von §15 Abs. 2 UStG 1980 verwendet, beachtet andererseits aber auch den Anspruch des Unternehmers auf Vertrauensschutz, weil trotz von Anfang an unrichtiger rechtlicher Beurteilung die Vorsteuerberichtigung nicht die gesamte Vorsteuer, sondern nur den anteiligen auf das jeweilige Folgejahr entfallenden Vorsteuerbetrag erfaßt. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden §15 a Abs. 1 UStG 1980 für nicht anwendbar halten, könnte der Unternehmer den zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzug trotz fortdauernder abzugsschädlicher Verwendung der Vorbezüge in voller Höhe behalten, obwohl er ihn von vornherein nicht hätte beanspruchen dürfen. Dieses Ergebnis würde dem Sinn der Vorschrift zuwiderlaufen.
3. Die dargelegte Auslegung der Vorschrift des §15 a Abs. 1 UStG 1980 durch den Senat unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde gegen das gleichlautende Urteil des BFH in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
Im Streitfall stellen sich auch keine entscheidungserheblichen Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorzulegen wären. Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG), der die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, behält den Mitgliedstaaten insoweit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze vor. Es handelt sich dabei nicht um eine Richtlinienbestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und beläßt dem jeweiligen Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. das BFH-Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH; z. B. das Urteil vom 17. September 1996 Rs. C 246-249/94, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126).
4. In den Streitjahren 1984 und 1985 sind die streitigen Vermietungen zutreffend als steuerfrei (§4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) zu beurteilen; dies führt zum Ausschluß eines entsprechenden Vorsteuerabzugs (§15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980). Denn die Zwischenvermietung von Wohnraum unter Verzicht auf die Steuerbefreiung ist -- wenn keine beachtlichen Gründe dafür vorliegen -- mißbräuchlich i. S. von §42 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931, m. w. N.). Beachtliche Gründe für diese Zwischenvermietung sind im Streitfall weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.
Der Senat vermag dennoch nicht in der Sache zu entscheiden, da nicht feststeht, ob sich die maßgebenden Verhältnisse seit dem Jahr der erstmaligen Verwendung i. S. des §15 a UStG 1980 wie bezeichnet geändert haben. Das FG hat zwar festgestellt, daß der Kläger für Besteuerungszeiträume vor den Streitjahren auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietungsumsätze verzichtet und Vorsteuerbeträge abgezogen hat. Aufgrund seiner abweichenden Rechtsansicht hat das FG aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob entsprechende bestandskräftige und nicht mehr änderbare Steuerfestsetzungen für diese Jahre, die zudem nicht im einzelnen bezeichnet sind, vorliegen. Vor allem aber fehlen Feststellungen des FG, die dem Senat erlauben, die Höhe einer vorzunehmenden Vorsteuerberichtigung und damit der Umsatzsteuerfestsetzung für die Streitjahre zu bestimmen. Die Sache geht daher an das FG zurück, damit es die Sache aufgrund ergänzter Feststellungen erneut entscheidet.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 889 |
HFR 1998, 676 |