Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsklage eines Unternehmers des Privatrechts als Wettbewerber zu einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, Möglichkeit der unmittelbaren Berufung auf Artikel 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie
Leitsatz (amtlich)
Ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht oder zu niedrig zur Mehrwertsteuer herangezogen, kann sich im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die nationale Steuerverwaltung wie des Ausgangsrechtsstreits auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage berufen.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5
Beteiligte
Feuerbestattungsverein Halle |
Feuerbestattungsverein Halle e. V |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Möglichkeit der Berufung auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 ‐ Von einem privaten Steuerpflichtigen im Wettbewerb mit einer Behörde ausgeübte Tätigkeiten ‐ Einrichtung des öffentlichen Rechts ‐ Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten“
In der Rechtssache C-430/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2004, in dem Verfahren
Finanzamt Eisleben
gegen
Feuerbestattungsverein Halle e. V.,
Beigeladene:
Lutherstadt Eisleben,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk (Berichterstatter), R. Schintgen, G. Arestis und J. Klŭcka,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ des Feuerbestattungsvereins Halle e. V., vertreten durch Rechtsanwalt C. Ramme,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und K. Gross als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Eisleben (im Folgenden: Finanzamt) und dem Feuerbestattungsverein Halle e. V. (im Folgenden: Feuerbestattungsverein) wegen der Weigerung des Finanzamts, Steuerauskünfte über die Lutherstadt Eisleben, Beigeladene im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht, zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Sechste Richtlinie
3
Artikel 4 Absatz 5 Unterabsätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.“
Nationale Regelung
4
§ 1 Absatz 1 Nummer 1 des Umsatzsteuergesetzes sieht vor:
„(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt …“
5
§ 2 Absätze 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes bestimmt:
„(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. …
…
(3) Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art … und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. …“
6
§ 30 der Abgabenordnung (AO) 1977 sieht vor:
„(1) Amtsträger haben das Steuergeheimnis zu wahren.
(2) Ein Amtsträger verletzt das Steuergeheimnis, wenn er
1. Verhältnisse eines anderen, die ihm
a) in einem Verwaltungsverfahren, einem Rechnungsprüfungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen,
…
bekannt geworden sind, oder
2. ...