Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitliche Warenbewegung im Reihengeschäft, die in Russland endet. bewegte Lieferung. innergemeinschaftlicher Erwerb
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein einheitlicher Vorgang kann für den Leistungsempfänger nur dann innergemeinschaftlicher Erwerb sein, wenn er für den Leistenden innergemeinschaftliche Lieferung ist.
2. Wird der Gegenstand durch mehrere Personen befördert oder versendet, liegt nur dann kein Reihengeschäft vor, wenn der erste Abnehmer (also der zweite Unternehmer in der Kette) den Transport übernimmt und die Warenbewegung daher nicht mehr unmittelbar vom ersten an den letzten Unternehmer erfolgt.
3. Bei einer einheitlichen Warenbewegung im Reihengeschäft, die in Russland endet, wobei die Übergabe an den Abnehmer vor dem Grenzübergang der Ware zwischen Litauen und Russland erfolgt, ist die bewegte Lieferung der zweiten Lieferung (von Litauen nach Russland) an den Abnehmer zuzuordnen. Die erste Lieferung (nach Litauen) ist im Ergebnis dann die ruhende Lieferung, auf die § 3d UStG nicht anwendbar ist.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 5, § 1a Abs. 1, § 3 Abs. 6, §§ 3d, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; EG RL 112/2006 Art. 20, 41, 138
Tenor
Abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2016 vom 11.10.2019 wird die Umsatzsteuer auf -496.725,18 EUR festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die umsatzsteuerliche Behandlung von fünf Einkäufen von Waren durch die Klägerin im Mai 2016.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung –GmbH–. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Elektrotechnik. Streitgegenstand sind vier Lieferungen eines in Großbritannien ansässigen Unternehmers (B…) und eine Lieferung eines in Finnland ansässigen Unternehmers (C…). Die Klägerin bestellte die Waren bei B… bzw. C… und verkaufte sie an die in Russland ansässige D… weiter. Die Waren wurden aus Großbritannien bzw. Finnland direkt in ein Zwischenlager nach Litauen transportiert, wo sie umgepackt und dann von dort nach Russland weitertransportiert wurden. Dies geschah auf Wunsch der D…, welche der Klägerin gegenüber angab, es gehe ihr darum, die Waren mit anderen Einkäufen zu bündeln und mit diesen gemeinsam nach Russland bringen zu lassen. Die Klägerin verwendete gegenüber B… und C… ihre deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer –USt-ID-Nr.–.
Die an die Klägerin in Deutschland adressierte Rechnung von C… vom 25.05.2016 in englischer Sprache (Bl. 14R der Akte des Aussetzungsverfahrens –AdV–) weist einen Rechnungsbetrag i. H. v. 7.319,00 EUR aus, eine Umsatzsteuer von 0,00 EUR, als Lieferadresse eine Anschrift in Litauen und die deutsche USt-ID-Nr. der Klägerin sowie die Angabe „…”. Die ebenfalls an die Klägerin in Deutschland adressierten Rechnungen von B… in englischer Sprache vom 20.05.2016 (Nr. GSI80873, Rechnungsbetrag 40,13 EUR, Bl. 15 AdV; Nr. GSI80872, Rechnungsbetrag 7.634,09 EUR, Bl. 15R AdV; Nr. GSI80868, Rechnungsbetrag 635,46 EUR, Bl. 17 AdV) und vom 17.05.2016 (Nr. GSI80569, Rechnungsbetrag 59.808,29 EUR, Bl. 17R AdV) weisen jeweils die gleiche litauische Lieferadresse und ebenfalls eine Umsatzsteuer von 0,00 EUR und die deutsche USt-ID-Nr. der Klägerin aus und jeweils den Vermerk „…”, den das Gericht als „versandkostenfrei” versteht. Die Ausfuhrmeldungen für die Ausfuhren nach Russland wurden von der Klägerin erstellt, die Ausfuhrnachweise in litauischer Sprache und die Rechnungen der Klägerin an D… in deutscher Sprache finden sich auf Bl. 20 ff. AdV; die Rechnungen der Klägerin an D… (ohne Umsatzsteuerausweis) über die Weiterlieferungen der o. g. Liefergegenstände vom 17.05.2016, 24.05.2016 und 31.05.2016 enthalten jeweils die Angaben „Steuerfreie Lieferung” und „Lieferbedingungen: …”. Die Ausfuhrnachweise weisen als Ausfuhrdaten den 27.05.2016 und 16.06.2014 aus. Es liegt zudem eine Bestätigung der D… vom 10.11.2016 vor, wonach die Gegenstände im Konsolidierungslager in E… durch ihre Spedition abgeholt und nach F… gebracht worden seien (Bl. 50f. der Rechtsbehelfsakte –Rb–).
In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für Mai 2016, die nach Zustimmung des Beklagten am 04.08.2016 als Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung –VdN– wirkte, erklärte die Klägerin die Rechnungsbeträge der streitgegenständlichen Rechnungen von B… und C… (insgesamt 75.436,97 EUR) als Bemessungsgrundlage für im Inland zum Regelsteuersatz steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe und machte in Höhe der darauf entfallenden Steuer (14.333,02 EUR) einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Umsatzsteuergesetz –UStG– geltend. Das sich aus der Anmeldung ergebende Guthaben i. H. v. 46.263,08 EUR zahl...