Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreie Vermietung von Zimmern an Prostituierte in sogenannten Steigen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine steuerfreie Vermietungsleistung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn bei der Nutzungsüberlassung von Zimmern in einer sog. Steige an Prostituierte zusätzliche für die Ausübung der Prostitution wesentliche Leistungen erbracht werden, wie das Vorhalten von sog. Wirtschaftern, die für einen reibungslosen Betrieb in der Steige sorgen und die Möglichkeit eröffnet wird, auf einer bestimmten Fläche im öffentlichen Raum, die informell der Steige "zugewiesen" ist, exklusiv, d.h. unter Ausschluss "steigenfremder" Prostituierter, Freier zu akquirieren.

Gleiches gilt, wenn statt des Straßenraumes ein sog. Kober für die Akquisition genutzt werden kann.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 12 Buchst. a; MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. l

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbracht hat.

Der Kläger war im Streitjahr 2016 Mieter von Räumlichkeiten in der X-Straße (1. und 2. Obergeschoss), in der Y-Straße (1. und 2. Obergeschoss ...) sowie in der Z-Straße (... Zimmer mit Koberraum). Sämtliche Objekte liegen in St. Pauli. Nach der sog. Sperrgebietsverordnung (Verordnung über das Verbot der Prostitution) ist die Prostitution hier zwischen 20.00 h und 6.00 h erlaubt, die Z-Straße ist vollständig von dem Verbot ausgenommen. Der Kläger hatte, wie auch in den Vorjahren, im Streitjahr eine "Gewerbliche Zimmervermietung" mit Betriebsstätten in den genannten Objekten als Gewerbebetrieb angemeldet. Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 24. September 2015 (V R 30/14, BStBl II 2017, 132) entschieden hatte, dass auch die kurzzeitige Überlassung von Zimmern in einem "Stundenhotel" keine Beherbergung, sondern grundsätzlich eine steuerfreie Vermietungsleistung sei, beantragte der Kläger, seine Umsätze ab 1. Januar 2016 steuerfrei zu lassen. Dem folgte der Beklagte zunächst nicht. Der Klage gegen die Vorauszahlungsbescheide für Januar bis März 2016 (2 K 21/17) half er aber im Februar 2017 ab, nachdem der Kläger im Klageverfahren vorgetragen hatte, dass keine zusätzlichen Leistungen erbracht würden, die der Vermietung ein anderes Gepräge gäben.

In der Jahressteuererklärung für 2016 vom 28. März 2018 gab der Kläger steuerfreie Umsatzerlöse von ... € an. Mit Bescheid vom 4. Oktober 2018 setzte der Beklagte unter Hinweis auf die geltende Rechtslage gleichwohl Umsatzsteuer nach Maßgabe der erklärten Umsätze fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 5. Oktober 2018, mit dem um Zustimmung zur Sprungklage gebeten wurde, die nicht erteilt worden ist. Den zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Beklagte ab, weil die Vermietung an Prostituierte zu Recht der Umsatzbesteuerung unterworfen worden sei. Nach den mündlich geschlossenen Mietverträgen habe sich der Kläger ausdrücklich vorbehalten, die Räumlichkeiten gleichzeitig an weitere Dritte zur Nutzung zu überlassen. Den Prostituierten würden nicht einzelne Räumlichkeiten überlassen. Vielmehr werde eine Vielzahl gleich ausgestatteter Räume einer Gruppe von Prostituierten überlassen, wobei im Bedarfsfall je nach Verfügbarkeit und Wunsch des Kunden einzelne Räume genutzt werden könnten. Dies entspreche nicht dem Leitbild der Vermietung, sondern stelle ein Vertragsverhältnis eigener Art dar. Auch nach der Literaturmeinung (Englisch in Rau/Dürrwärter, UStG § 4 Nr. 12 Rn. 83) liege mangels Gewährung exklusiver Nutzungsrechte eine steuerfreie Vermietung nicht vor, wenn mehreren Prostituierten aufgrund separat geschlossener Verträge ein Zugriffsrecht auf dieselben Räumlichkeiten eingeräumt werde. Auf den bei Gericht gestellten Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 28. Februar 2019 vorläufigen Rechtsschutz gewährt (2 V 191/19), wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.

Mit der ablehnenden Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2019 hielt der Beklagte daran fest, dass eine steuerfreie Vermietungsleistung nicht vorliege, weil neben der Nutzungsüberlassung der Räume ein umfangreiches Leistungsbündel im Sinne eines "Rund-um-sorglos-Paketes" angeboten werde, das den Nutzerinnen ihre Berufsausübung ermögliche. Neben der Zurverfügungstellung von Kondomen, Handtüchern, Bettwäsche, u.Ä. werde allein durch die Lage der Objekte im Sperrbezirk eine besondere Leistung erbracht, die die erfolgreiche Geschäftsanbahnung der Prostituierten erst ermögliche. Im Objekt Z-Straße stehe zudem ein spezieller Koberraum zur Verfügung, von dem aus Freier geworben werden könnten. Bei den Objekten X-Straße und Y-Straße erhielten die Prostituierten erst durch die Anmeldung und Entrichtung des Nutzungsentgelts die Möglichkeit, sich an bestimmten lukrativen Plätzen zu präsentieren. Schließlich werde in den Steigen auch ein Aufenthaltsraum vorgehalten, in dem kostenfrei Getränke und Snacks angeboten würden. Ferner seien vor Ort Wirtschafter tätig, die sich auch um die Sicherheit kümmerten, darüber hinaus werde auch eigenes Si...

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