Rüdiger Weimann, Robert C. Prätzler
Panta rhei…alles fließt. Der Wandel ist überall, und dies gilt weiterhin ebenso für das Umsatzsteuerrecht. Seit Erscheinen der 5. Auflage im November 2018 hat sich sowohl unionsrechtlich als auch national vieles getan. Zahlreiche weitere Reformvorhaben sind angekündigt oder befinden sich bereits in fortgeschritteneren Umsetzungsphasen.
Das im Vorwort zur 5. Auflage erwähnte "endgültige Mehrwertsteuersystem", für das die Europäische Kommission Ende 2017 sehr konkrete Vorschläge gemacht hatte, lässt zwar weiter auf sich warten. Jedoch greifen seit dem 01.01.2020 erste Sofortmaßnahmen ("Quick fixes"):
- USt-IdNr. und ZM sind erstmals nicht nur faktische, sondern auch materielle Voraussetzungen für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (Hinweis auf die Kommentierungen zu → § 4 Nr. 1 UStG, Rz. 19 ff. und § 6a UStG, Rz. 65).
- Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte werden erstmals jedenfalls für den Fall des Transports durch mittlere Unternehmer ("Zwischenhändler") ausdrücklich geregelt, was mehr Rechtssicherheit bringen soll (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 3 UStG, Rz. 124 ff.).
- Die Regeln zum Konsignationslager wurden EU-weit vereinheitlicht; eine Registrierung im Ausland ist oftmals nicht mehr erforderlich (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 6b UStG).
- Der Nachweis innergemeinschaftlicher Lieferungen wurde vereinheitlicht (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 6a UStG, Rz. 92 ff.).
Der nationale Gesetzgeber hat diese Maßnahmen fristgerecht umgesetzt. Zusätzlich hat er rein national eindeutige Vorschriften für Reihengeschäfte mit Drittlandsbezug erlassen und beschlossen, die bewährte Nachweisführung nach nationalen Vorschriften der UStDV (insbesondere die "Gelangensbestätigung") alternativ beizubehalten. Zu letzterer fehlt es erstaunlicherweise nach wie vor an konkreter veröffentlichter Finanzrechtsprechung. Die Verwaltungsschreiben zur Anwendung der neuen Vorschriften ergingen weiterhin teilweise erst im Jahr 2023(!), und die ZM für Konsignationslager ist immer noch technisch nicht ganz unionsrechtskonform ausgestaltet.
Erwähnenswert ist die Umsetzung der Gutschein-Richtlinie zum 01.01.2019 nebst BMF-Schreiben zur Anwendung (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 3 Abs. 13 bis 15 UStG, Rz. 318 ff.). Zwar liegt erste Finanzrechtsprechung vor, doch wird der EuGH noch viel zu klären haben. Ein Vorabentscheidungsersuchen des BFH (BFH, EuGH-Vorlage vom 03.11.2022 - XI R 21/21 - BFHE 277, 561, Az. des EuGH C-68/23) bezieht sich bereits auf Grundsatzfragen der Abgrenzung zwischen Einzweck- und Mehrzweckgutscheinen.
Zum 01.01.2020 implementierte der Gesetzgeber in § 25f UStG nach Entscheidungen des EuGH ("Italmoda" u. a.) Einschränkungen für den Vorsteuerabzug und die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung bei Wissen oder Wissenmüssen von einer Steuerhinterziehung in einer Lieferkette (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 25f UStG).
Als Anfang 2020 die Covid 19-Pandemie die Welt in Atem hielt, kam es nicht nur zu "Lockdowns" und Maskenpflicht. Auch in der Umsatzsteuer geschah Überraschendes, als im Zeitraum 01.07. bis 31.12.2020 sowohl der Regelsteuersatz als auch der ermäßigte Steuersatz temporär abgesenkt wurden, verbunden mit zahlreichen Anwendungsfragen. Ergänzend wurde für Speisenumsätze in der Gastronomie der ermäßigte Steuersatz eingeführt und nach Verlängerungen bis zum 31.12.2023 beibehalten (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 12 Abs. 2 UStG, Rz. 218 ff.).
Die nächste große Reform auf Unionsebene kam durch die Covid 19-Pandemie verzögert nicht zum 01.01.2021, sondern erst zum 01.07. des Jahres. Insbesondere wurde der innergemeinschaftliche Versandhandel neu geregelt und der sog. Fernverkauf neu definiert, erstmals auch für Einfuhrvorgänge aus Drittstaaten (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 3c UStG). Ein neues Lieferschwellenkonzept mit kumulierter Jahresschwelle von 10.000 EUR über alle Staaten hinweg führt viel schneller zur Steuerpflicht im Lieferstaat. Auch werden sog. "Schnittstellen" (d. h. Online-Marktplätze) in manchen Fällen umsatzsteuerlich zum Lieferer, obwohl sie zivilrechtlich nur vermitteln (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 3 Abs. 3a UStG). Positiv zu vermerken ist eine Erweiterung des "One-Stop-Shops" auf diese und andere B2C-Sachverhalte, verbunden mit Erleichterungen bei der Rechnungstellung (Hinweis auf die Kommentierung zu → § 18i, → 18j und → 18k UStG und zu → 14a UStG).
Im Jahr 2022 einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine Reform der ermäßigten Steuersätze, doch wurde die geplante umfassende Freigabe derselben nicht realisiert. Stattdessen bleiben viele Änderungen kleinteilig und teils unverständlich (z. B. wurde in letzter Minute ein ermäßigter Steuersatz für Pferde ermöglicht). Wesentlich neu ist die Möglichkeit eines "Nullsteuersatzes", die Deutschland zum 01.01.2023 für bestimmte Photovoltaikanlagen nutzte (→Hinweis auf die Kommentierung zu → § 12 Abs. 3 UStG, Rz. 140 ff.).
Aus Rechtsprechung und Verwaltung gibt es ebenfalls viele Neuigkeiten.
Nach weiteren BFH-Entsche...