Rz. 24
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ergibt sich, dass die Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein müssen, das Organisationsmodell zu wählen, das ihnen, rein wirtschaftlich betrachtet, am besten zusagt, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Umsätze von der Steuerbefreiung ausgeschlossen werden (vgl. EuGH vom 17.06.2021, C-58/20 und C-59/20, K und DBKAG, Rn. 31; EuGH vom 02.07.2020, C-231/19, BlackRock Investment Management UK Ltd, Rn. 50; EuGH vom 13.03.2014, C-464/12, ATP Pension Service, Rn. 64; EuGH vom 07.03.2013, C-275/11; GfBk, Rn. 31; EuGH vom 21.06.2007, C-453/05, Ludwig, Rn. 35; EuGH vom 04.05.2006, C-169/04, Abbey National, Rn. 68). Waren die auf einen externen Dienstleister ausgelagerten Tätigkeiten bereits bei dem auslagernden Unternehmer einer Steuerbefreiung zugängig, führt dies aber nicht automatisch zu einer Befreiung auch beim Auslagerungsdienstleister. Auf externe Dienstleister ausgelagerte Finanzdienstleistungen können lediglich dann steuerfrei sein, wenn sie selbst die Voraussetzungen der jeweiligen Befreiungsnorm erfüllen. Allerdings kann sich aus der Auslagerung heraus ergeben, welche Befreiungsnorm für die ausgelagerte Dienstleistung in Betracht kommt. Insofern besteht zumindest ein innerer Zusammenhang zwischen den Leistungen des auslagernden Unternehmens und denen des Auslagerungsdienstleisters, der die beim Auslagerungsdienstleister in Betracht kommende Befreiungsnorm indizieren kann.
Rz. 25
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Um zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeiten eines Auslagerungsdienstleisters umsatzsteuerfrei sein können, hat der EuGH daher im Laufe der Zeit bestimmte Kriterien entwickelt, die als gefestigte ständige Rechtsprechung angesehen werden können (vgl. EuGH vom 02.07.2020, C-231/19, BlackRock Investment Management UK Ltd, Rn. 47; EuGH vom 03.10.2019, C-42/18, Cardpoint, Rn. 21 f.; EuGH vom 28.07.2011, C-350/10, Nordea Pankki Suomi Oyj, Rn. 24; EuGH vom 21.06.2007, C-453/05, Ludwig, Rn. 27, 36; EuGH vom 13.12.2001, C-235/00, CSC Financial Services, Rn. 26; EuGH vom 05.06.1997, C-2/95, SDC, Rn. 66). Dieser haben sich BFH und Finanzverwaltung angeschlossen (vgl. BFH vom 10.12.2020, V R 4/19, BFH/NV 2021, 662, Rn. 15; BFH vom 13.11.2019, V R 30/19, BStBl II 2020, 522, Rn. 18; Abschn. 4.8.7. Abs. 2 S. 3, Abschn. 4.8.13. Abs. 17 UStAE). Vereinfacht gesagt ist die Anwendung einer Steuerbefreiungsnorm auf ausgelagerte Tätigkeiten bei Finanzumsätzen demnach möglich, wenn diese Leistungen
- bei funktionaler Betrachtung
- ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes darstellen,
- das die spezifischen und wesentlichen Funktionen der Tätigkeiten i. S. d. Befreiungsnorm erfüllt,
- für die der Auslagerungsdienstleister gegenüber seinem Auftraggeber vollumfänglich verantwortlich ist. Dabei ist Letzteres der Fall, wenn sich die Verantwortung des Dienstleisters nicht auf rein materielle oder technische Aspekte beschränkt, sondern auf spezifische und wesentliche Elemente der Umsätze i. S. d. Befreiung erstreckt.
Danach ist umgekehrt die Erbringung rein materieller, technischer oder administrativer Leistungen nicht steuerfrei (vgl. EuGH vom 25.07.2018, C-5/17, DPAS, Rn. 36, 38; EuGH vom 26.05.2016, C-607/14, Bookit, Rn. 40; EuGH vom 05.06.1997, C-2/95, SDC, Rn. 66; BFH vom 26.01.2022, XI R 19/19 (XI R 12/17), DStR 2022, 1199, Rn. 58). Von der Erbringung solcher steuerpflichtiger Leistungen kann ausgegangen werden, wenn sich die Verantwortung des Dienstleisters auf technische Aspekte beschränkt und sich gerade nicht auf die spezifischen und wesentlichen Funktionen erstreckt, die die steuerbefreiten Umsätze auszeichnen (vgl. EuGH vom 25.07.2018, C-5/17, DPAS, Rn. 36; EuGH vom 26.05.2016, C-607/14, Bookit, Rn. 40; EuGH vom 05.06.1997, C-2/95, SDC, Rn. 66).
Rz. 26
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Die Herausforderung liegt regelmäßig darin, zu beurteilen, welche Tätigkeit die Voraussetzung erfüllt, spezifisch und wesentlich i. S. d. jeweiligen Befreiungsnorm zu sein (vgl. zu diesem Thema insgesamt Kratz, BB 2022, 2519, 2587). Darüber hinaus gibt es in der Praxis insbesondere für die Befreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG sowie für die Befreiungen nach § 4 Nr. 8 Buchst. e und f UStG konkrete und gut handhabbare Richtlinien, in denen entsprechende Voraussetzungen für eine steuerbefreite, ausgelagerte Dienstleistung definiert wurden (vgl. Abschn. 4.8.13. UStAE sowie u. a. das BMF-Schreiben vom 03.02.2015, Az: IV D 3 – S 7160/14/10002, 2015/0083829, Umsatzsteuerliche Beurteilung der Leistungen im Wertpapier- und Depotgeschäft, das BMF-Schreiben vom 03.05.2021, Az: III C 3 -S 7160/20/10003 :001, 2021/0481500, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Leistungen von Börsen und anderen Handelsplattformen für Finanzprodukte sowie das BMF-Schreiben vom 24.06.2022, Az: III C 3 – S 7160-h/20/10003 :026, 2022/0662220, Einführungsschreiben zur Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Wagniskapitalfonds nach § 4 Nr. 8 Buchstabe h UStG).