Rz. 11
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Das Umsatzsteuerrecht kennt keine DBA; jedes Land der Welt regelt seine Umsatzsteuerfragen damit grundsätzlich autark.
Rz. 12
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Viele Drittstaaten haben sich aber – ob der Vorteile des Vorsteuerabzugs (Arbeitsteilung bleibt unbesteuert!) – bei der Gestaltung ihres eigenen Umsatzsteuerrechts an den Grundsätzen und Leitlinien des europäischen Umsatzsteuerrechts orientiert und dieses weitestgehend transformiert; so spricht z. B. die Schweiz von einem "EU-harmonierten" Umsatzsteuerrecht.
Rz. 13
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Dadurch entsteht für deutsche Unternehmer und deren Berater der oft trügerische Schein, auch im Drittlandsumsatzsteuerrecht "zu Hause zu sein". Hier ist Vorsicht geboten; der Teufel steckt im Detail (vgl. Rz. 19 ff.).
2.1 Das Grundproblem
Rz. 14
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Ein alltäglicher Fall soll an die Problematik heranführen:
Ein deutscher Anlagenbauer (Mandant M) soll im Auftrag von Kunde K eine Produktionsstraße in Kiew (Ukraine) errichten.
Rz. 15
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
In der Praxis wird i. d. R. noch zutreffend erkannt, dass es sich bei der Produktionsstraße um ein ortsgebundenes Werk handelt und der Leistungsort gem. § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG mithin in Kiew liegt. Ebenfalls noch zutreffend wird geschlussfolgert, dass damit keine deutsche Umsatzsteuer und auch keine Umsatzsteuer eines anderen EU-Mitgliedstaats anfällt.
Rz. 16
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Danach wird es regelmäßig falsch (Weimann, GStB 2012, 269): Einige kommen zum Ergebnis, der Umsatz sei "frei von Umsatzsteuer" und damit steuerfrei. Andere erkennen schon, dass der Umsatz nicht steuerbar ist, und unterstellen deshalb ausdrücklich oder konkludent, dass keine Umsatzsteuer anfällt.
2.2 Keine Doppelbesteuerungsabkommen zur Umsatzsteuer
Rz. 17
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Besonderheiten der Umsatzsteuer verdeutlicht am ehesten ein Vergleich der Umsatzsteuer mit der i. d. R. wesentlich geläufigeren Einkommensteuer/Lohnsteuer (Weimann, GStB 2012, 269):
In Dortmund arbeitet ein Türke (T), dessen Familie in Ankara wohnt. Monat für Monat schickt der Mann einen Großteil seines Geldes in die Türkei; dort ist auch weiterhin sein Lebensmittelpunkt.
Die deutsche Finanzverwaltung will, unabhängig von der Nationalität des T, die Einkünfte besteuern, da sie in Deutschland erzielt wurden. Die türkische Finanzverwaltung will, unabhängig vom Ort der Einkünfteerzielung, die Einkünfte ebenfalls besteuern, da die Türkei für ihre Bürger, wie die Bundesrepublik Deutschland auch, das Welteinkommensprinzip kennt.
Die Einkünfte des T würden damit doppelt besteuert. Damit es dazu nicht kommt oder aber zumindest die Folgen einer doppelten Besteuerung gemildert werden, schließen die Staaten DBA.
Rz. 18
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Deutschland hat DBA mit sehr vielen Staaten – insbesondere zu den Ertragsteuern und den Besitzsteuern. Weltweit gibt es aber keine DBA zur Umsatzsteuer.
Rz. 19
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Daraus ergeben sich folgende Probleme:
- Bei der Umsatzsteuer kann bei Umsätzen mit Drittlandsbezug – zur Abgrenzung Inland/Ausland/Gemeinschaftsgebiet/Drittlandsgebiet vgl. Abschn. 1.9. und 1.10. UStAE – eine doppelte Besteuerung niemals ausgeschlossen werden.
- Tätigt der Unternehmer grenzüberschreitende Umsätze in Drittländer, muss er sich damit immer auch die Frage stellen, wie das Ausland den Fall umsatzsteuerlich beurteilt.
2.3 Die europäische Lösung
2.3.1 Das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Umsatzsteuersystem
Rz. 20
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Länder Europas wollten für ihr Hoheitsgebiet den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsaustausch fördern; zumindest ein DBA wäre dafür unabdingbar gewesen.
Rz. 21
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Mitgliedstaaten sind aber noch einen Schritt weiter gegangen. Sie vermeiden nicht nur die gemeinsame Festlegung von Leistungsorten zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, sondern haben sich auch weitere gemeinsame Spielregeln gegeben, die grenzüberschreitende Geschäfte erleichtern. Zur Bedeutung des EU-Umsatzsteuerrechts für das deutsche Umsatzsteuerrecht vgl. Rz. 5 ff.
Rz. 22
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit geringfügigen Abweichungen wurde das materielle Umsatzsteuerrecht innerhalb der EU damit einheitlich gestaltet. Unterschiedlich sind aber insbesondere noch die Steuersätze und die Verfahrensregeln. Auch die durch europäische Vorgaben eingeräumten Gestaltungsspielräume führen zu diversen Unterschieden zwischen den Umsatzsteuergesetzen der einzelnen Mitgliedstaaten, was die im Binnenmarkt tätigen Unternehmen in der Praxis auch weiterhin vor nicht unerhebliche Probleme stellt.
2.3.2 Das europäische "Doppelbesteuerungsabkommen"
Rz. 23
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der umsatzsteuerliche Grundtatbestand ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG. Danach unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (vgl. Rz. 74).
Rz. 24
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Zuweisung eines (einzigen) Leistungsorts zu jedem Umsatz wirkt de facto wie ein DBA. Die Bedeutung der Prüfung des Leistungsorts wird in der Praxis aber häufig unterschätzt. Der Leistungsort liegt do...