Rz. 110
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Ausfuhrnachweis kann grundsätzlich nicht durch gefälschte Belege geführt werden, der leistende Unternehmer trägt damit das Ausfallrisiko (vgl. Dziadkowski, UVR 2002, 73). Aus einem gefälschten Beleg ergibt sich nicht eindeutig und leicht nachweisbar, dass eine Beförderung oder Versendung in das Drittlandsgebiet erfolgt ist, denn ein gefälschter Beleg hat keine positive Aussagekraft und kann damit nicht als Nachweis dienen.
Rz. 111
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Eine dem § 6a Abs. 4 UStG vergleichbare Vertrauensschutzregelung kennt § 6 UStG nicht. In älterer Rechtsprechung des BFH wurde eine analoge Anwendung der Vorschrift für den Bereich der Ausfuhrlieferung abgelehnt (vgl. BFH vom 06.05.2004, Az: V B 101/03, BStBl II 2004, 748 und BFH vom 19.11.2009, Az: V R 8/09 (NV), BFH/NV 2010, 1141).
Rz. 112
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Dieses Problem erkennend legte der BFH die Frage eines evtl. Vertrauensschutzes mit Vorlagebeschluss vom 02.03.2006 (Az: V R 7/03, BStBl II 2006, 672) dem EuGH als Rs. C-271/06 Netto Supermarkt GmbH & Co. OHG) zur Vorabentscheidung vor. Dem Sachverhalt nach ging es in diesem Verfahren darum, dass durch Staatsbürger eines Drittlandes liegen gebliebene Kassenbons auf Parkplätzen, in Einkaufskörben und Papierkörben eingesammelt und aus diesen sowie teilweise gefälschten Vordrucken und gefälschten Zollstempeln Ausfuhrnachweise gefertigt wurden, mithilfe derer anschließend die Klägerin zur Erstattung der Umsatzsteuer veranlasst wurde (§ 6 Abs. 3a UStG, Ausfuhr im nichtkommerziellen Reiseverkehr). Bei einer durch die Klägerin veranlassten Überprüfung durch den Zoll wurden die Fälschungen entdeckt. Das FA erhob daraufhin die Umsatzsteuer mangels Ausfuhrnachweises nach. Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 01.10.2002, Az: 2 K 375/00, Haufe-Index 912199).
Rz. 113
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Mit Urteil vom 21.02.2008 hat der EuGH die Vorlagefrage des BFH entschieden (Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, UR 2008, 508). Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass Art. 15 Nr. 2 der 6. EG-RL (Art. 146 Abs. 1 Buchst. b und Art. 147 der MwStSystRL) der Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nicht entgegensteht, wenn zwar die Voraussetzungen für eine derartige Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige dies aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns infolge der Fälschung des vom Abnehmer vorgelegten Nachweises der Ausfuhr nicht erkennen konnte (Vertrauensschutz).
Rz. 114
Der EuGH stützt seine Entscheidung auf die Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung wie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit sowie des Vertrauensschutzes. Insbesondere weist der EuGH darauf hin, dass im Mehrwertsteuersystem der Unternehmer letztlich als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates fungiert (Steuerschuldner), der eigentliche wirtschaftliche Steuerträger jedoch der Endverbraucher ist. Zwar seien hohe Anforderungen zur Vermeidung von Steuerhinterziehung grundsätzlich gerechtfertigt, die Risikoverteilung zwischen Unternehmer und Finanzverwaltung aufgrund eines von einem Dritten begangenen Betrugs müsse jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen. Unverhältnismäßig ist es jedenfalls, wenn der Unternehmer auch in Fällen betrügerischer Machenschaften Dritter, an denen er nicht beteiligt ist und auf die er keinen Einfluss hat, den Steuerausfall aufzubürden. Wichtige Kriterien für das nachträgliche Heranziehen des Unternehmers zur Umsatzsteuer sind daher, dass der Unternehmer gutgläubig war, dass er alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat und dass seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist.
Rz. 115
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit Urteil vom 30.07.2008 (Az: V R 7/03, BStBl II 2010, 1075 – Nachfolgentscheidung zu Netto-Supermarkt) schloss sich der BFH der Beurteilung durch den EuGH im Urteil vom 21.02.2008 (UR 2008, 508) an. Demnach kann nach den allgemeinen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, die der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (zur Überprüfung der Richtigkeit eines Zollstempels vgl. FG München vom 24.04.2008, Az: 14 K 4628/05, EFG 2009, 525 unter II.2.; Revisionsentscheidung: BFH vom 19.11.2009, Az: V R 8/09 (NV), BFH/NV 2010, 1141; zu gefälschten Zollstempeln/AdV-Verfahren vgl. FG Berlin-Brandenburg vom 04.06.2013, Az: 5 V 5022/13, EFG 2014, 73). Die Finanzverwaltung wendet die Rechtsprechung an (vgl. Abschn. 6.5. Abs. 6 UStAE).
Rz. 116
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Zur Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehört auch bei Ausfuhrlieferungen die formell vollständige Führung des Buch- und Belegnachweises. Das Merkmal "Sorgfalt des ordentlichen Kaufmanns" ist bei den §§ 6, 6a UStG einheitlich auszulegen (vgl. BFH, Beschlus...