Rz. 40
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Bis zur EuGH-Entscheidung vom 08.05.2003 (Rs. C-269/00, Wolfgang Seeling, BStBl II 2004, 378) ging die deutsche Rechtsprechung und Verwaltungspraxis davon aus, dass die unternehmensfremde Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstücks nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sei (vgl. den Vorlageentscheidung des BFH vom 25.05.2000, Az: V R 39/99, UR 2000, 325 sowie Abschn. 24c Abs. 7 UStR 2000).
Der EuGH urteilte dem gegenüber, dass die Verwendung einer Wohnung in einem insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäude für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen eine steuerpflichtige Dienstleistung sei. Dies hatte zur Folge, dass der Steuerpflichtige zwar einerseits seine Eigennutzung nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG versteuern musste, er andererseits aber zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt war. Gerade bei der Anschaffung/Herstellung eines Gebäudes konnte sich der Steuerpflichtige so einen erheblichen Liquiditäts- und Zinsvorteil verschaffen, weil er den Vorsteuerabzug für den privat genutzten Grundstücksteil sofort ziehen konnte, die Besteuerung seiner privaten Eigennutzung über § 3 Abs. 9a Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG dagegen über einen Zeitraum von 10 Jahren erfolgte (zum Ganzen Nieskens, UStB 2003, 311; ders. EU-UStB 2009, 43; Fromm, DStR 2009, 259; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524; Scholz/Nattkämper, EU-UStB 2010, 32; Lippross, Umsatzsteuer, 25. Aufl. 2022, 413 ff.).
Die deutsche Rechtsprechung (vgl. BFH vom 24.7.2003, Az: V R 39/99, BStBl II 2004, 371) und die Verwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 13.04.2004, BStBl I 2004, 469 sowie Abschn. 4.12.1. UStAE) folgten gezwungenermaßen dieser EuGH-Rechtsprechung.
Rz. 41
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Durch die RL 2009/162/EU vom 22.12.2009 (EU-ABl L 20/14 vom 15.01.2010) wurde auf EU-Ebene durch den neuen Art. 168a MwStSystRL dem Seeling-Modell mit Wirkung ab dem 01.01.2011 der Boden entzogen, in dem der Vorsteuerabzug auf die Ausgaben, die auf die Verwendung des Grundstücks für unternehmerische Zwecke entfallen, begrenzt wurde (vgl. hierzu von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524). Die entsprechende nationale Umsetzung erfolgte mit der Einführung von § 15 Abs. 1b UStG durch das Jahressteuergesetz 2010 (vgl. hierzu Ramb, NWB 2012, 1450; Lippross. Umsatzsteuer, 25. Aufl. 2022, 415 f. sowie Abschn. 15.6a. UStAE und die Kommentierung zu § 15). Durch den Ausschluss des Vorsteuerabzugs für die nichtunternehmerische Verwendung des Grundstücks liegt nach dem, ebenfalls durch das Jahressteuergesetz 2010 geänderten § 3 Abs. 9a Nr. 1, 2. Hs. UStG keine steuerbare Verwendungsentnahme mehr vor, sodass sich die Frage nach die Steuerfreiheit nicht mehr stellt. Dies gilt nach Maßgabe des § 27 Abs. 16 UStG seit dem 01.01.2011.