Rz. 54
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der BFH hatte im Jahr 2010 (vgl. BFH vom 19.05.2010, XI R 6/09, BStBl II 2011, 831) darüber zu entscheiden, ob die Leistungen der Wechselstuben (an Flughäfen) als Lieferungen oder sonstige Leistungen zu qualifizieren waren und unter welchen Voraussetzungen ihnen ein Vorsteuerabzug möglich war.
Sachverhalt:
Die Klägerin (A) betrieb auf einem deutschen Flughafen Wechselstuben u. a. zum An- und Verkauf ausländischer Banknoten und Münzen (Sortengeschäft). A machte in den Streitjahren 1994–1999 Vorsteuerbeträge aus Leistungen geltend, die zur Ausführung von Sortengeschäften mit im Drittlandsgebiet ansässigen Kunden verwendet wurden. Den Anteil des Geschäfts mit Drittlandskunden ermittelte A, indem sie die Kunden bei jeder Transaktion zu ihrer Ansässigkeit befragte. Die so erhobenen Daten speicherte A elektronisch und erstellte für jeden Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum einen "Report".
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, bei den Sortengeschäften handele es sich um Lieferungen, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. b UStG steuerfrei seien. Damit sei ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG grundsätzlich ausgeschlossen und im Streitfall auch über § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b UStG nicht möglich, da A keinen Ausfuhrnachweis führen könne.
Entscheidung:
Das Hessische FG gab der Klage statt (vgl. Hessisches FG vom 25.11.2008, 6 K 1627/03, EFG 2009, 1066). Mit dem Sortengeschäft erbringe A keine Lieferungen, sondern vielmehr sonstige Leistungen. Die Vorsteuerbeträge, die auf Leistungen an Drittlandskunden verwendet würden, seien unter den weiteren Voraussetzungen über § 15 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b UStG abziehbar. Als Nachweis für die Ansässigkeit der Kunden im Drittlandsgebiet seien die Befragung der Kunden und eine entsprechende Dokumentation ausreichend.
Rz. 55
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der BFH teilte die Auffassung des FG. Ein Unternehmer, der in- und ausländische Banknoten und Münzen i. R. v. Sortengeschäften an- und verkauft, führe keine Lieferungen, sondern sonstige Leistungen aus. Dabei beanstandete der BFH auch nicht die Würdigung des FG, die Kundenbefragung und eine entsprechende Dokumentation seien ein ausreichender Nachweis für die Ansässigkeit im Drittlandsgebiet. Insbesondere seien die Bestimmungen über Buch- und Belegnachweise bei Ausfuhrlieferungen (§§ 8 und 17 UStDV 1993/1999) auf den Nachweis des Wohnsitzes des Empfängers einer sonstigen Leistung i. S. d. § 3a Abs. 3 S. 3 UStG 1993/1999 nicht analog anwendbar (vgl. hierzu insgesamt BFH vom 19.05.2010, XI R 6/09, BStBl II 2011, 831).
Rz. 56
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Für die Entscheidung, ob dem Betreiber der Wechselstube ein Vorsteuerabzug zu gewähren war, war durch den BFH zunächst zu klären, ob es sich bei dem Geldumtausch (Sortengeschäft) um eine Lieferung oder um eine sonstige Leistung handelte; hiervon hing ab, ob die Wechselstube ihre Leistungen
- als Lieferungen im Inland (vgl. § 3 Abs. 7 S. 1 UStG),
- als sonstige Leistungen im Ausland (vgl. § 3 Abs. 9, § 3a Abs. 3 S. 3 UStG a. F.)
erbrachte.
Rz. 57
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht, vgl. § 3 Abs. 1 UStG). Sonstige Leistungen sind nach § 3 Abs. 9 UStG solche, die keine Lieferungen sind. Auch wenn die Wechselstube dem Kunden an den Scheinen und Münzen in der anderen Währung die Verfügungsmacht verschaffte, war zu berücksichtigen, dass das Umsatzsteuerrecht nur Leistungen im wirtschaftlichen Sinn erfasst, d. h. Leistungen, bei denen ein Interesse des Entrichtenden verfolgt wird, das über eine reine Entgeltentrichtung hinausgeht (vgl. EuGH vom 20.06.2013, C-653/11, Paul Newey, Rn. 42, 50, 52; BFH vom 31.07.1969, V 94/65, BStBl II 1969, 637; Abschn. 1.1. Abs. 3 S. 2 UStAE). Dient die Übertragung eines Gegenstands lediglich dazu, die Übertragung eines Rechts oder eine bestimmte Nutzung zu ermöglichen, steht regelmäßig die Dienstleistung im Vordergrund (vgl. BFH vom 03.06.2009, XI R 34/08, BStBl II 2010, 857, Tz. II. 1. b)).
Rz. 58
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der wirtschaftliche Gehalt des Geldwechselns besteht darin, dem Kunden zu ermöglichen, die im Bargeld verkörperte Kaufkraft in einem bestimmten Staat zu nutzen. Die dem Geld zukommende Eigenschaft, Wertmaßstab für Güter aller Art zu sein, wird von einer Währung in eine andere transferiert. Dem Leistungsempfänger kommt es darauf an, Kaufkraft einer bestimmten Währung zu erhalten. Danach liegt die wirtschaftliche Leistung einer Wechselstube in der Dienstleistung des Umtauschs, die steuerbar ist, wenn dafür ein Entgelt entrichtet wird (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG). Bestätigt sah der BFH sich insoweit durch die Rechtsprechung des EuGH (vgl. BFH vom 19.05.2010, XI R 6/09, BStBl II 2011, 831, Rn. 25 ff.). So erkannte der EuGH darauf, dass Devisengeschäfte Dienstleistungen seien. Devisen seien – so der EuGH –...