Rz. 72
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach der durch das StEntlG 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem 01.04.1999 eingefügten Fiktion des § 15 Abs. 1 S. 2 UStG gelten Gegenstände, die zu weniger als 10 % für das Unternehmen genutzt werden, nicht als zum Unternehmen gehörig, sodass die beim innerdeutschen oder i. g. Erwerb und bei der Einfuhr solcher Gegenstände entstehenden Vorsteuern nicht abzugsfähig sind. Der Vorsteuerabzug aus dem Bezug von Gegenständen verlangt somit eine unternehmerische Nutzung von mindestens 10 %. Entscheidend ist diesbezüglich die im Erwerbszeitpunkt objektiv glaubhaft gemachte Nutzungsabsicht (vgl. EuGH vom 08.06.2000, Rs. C-396/98, BB 2000, 2454).
Rz. 73
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die 10 %-Regelung wirkt sich unmittelbar auf die Zuordnungsentscheidung des Unternehmers aus. Bezieht der Unternehmer einen sog. einheitlichen Gegenstand, den er teilunternehmerisch nutzen möchte, ergeben sich in Abhängigkeit von den geplanten Verwendungszwecken nach Auffassung der Finanzverwaltung nachfolgende Zuordnungsmöglichkeiten (vgl. Abschn. 15.2c. Abs. 2 UStAE):
Rz. 74
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Beträgt die unternehmerische Nutzung eines Gegenstandes zunächst 10 % oder mehr Prozent und sinkt die Nutzung in einem späteren Veranlagungszeitraum unter 10 %, so bleibt der Gegenstand im Unternehmensvermögen, sofern er bei Bezug dem Unternehmensvermögen zugeordnet wurde. Die Nutzungsänderung führt lediglich zu einer höheren Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe (vgl. OFD Karlsruhe vom 28.01.2009, Az: S 7300/5, LEXinform 5232054). Für Eingangsleistungen in Form von sonstigen Leistungen gibt es keine vergleichbare Einschränkung. Das Leasing oder die Anmietung von Gegenständen, die weniger als 10 % unternehmerisch genutzt werden, führt nicht zum totalen Ausschluss des Vorsteuerabzugs. Gleiches gilt für sonstige Leistungen, die mit der Nutzung von Gegenständen verbunden sind, die nicht zum Unternehmensvermögen gehören, da sich § 15 Abs. 1 S. 2 UStG nur auf den Erwerb des Gegenstandes selbst bezieht.
Rz. 75
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die 10 %-Regelung widerspricht dem EG-Recht. Deutschland verfügt jedoch über eine vom EU-Rat ab dem 01.04.1999 erlassene Sonderermächtigung, die bereits mehrfach verlängert wurde. Die Ermächtigung gilt derzeit bis zum 31.12.2024 (vgl. Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1776 des Rates vom 05.10.2021 zur Änderung der Entscheidung 2009/791/EG und des Durchführungsbeschlusses 2009/1013/EU zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, weiterhin eine von den Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem abweichende Regelung anzuwenden, ABl. EU 2021 L 360/112 vom 11.10.2021).
Rz. 76
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit Urteil vom 15.09.2016 (Rs. C-400/15, Potsdam-Mittelmarkt, NWB Datenbank, DAAAF82022) nimmt der EuGH u. a. zur Frage Stellung, ob sich die 10 %-Regelung auch auf Gegenstände oder Dienstleistungen bezieht, die der Unternehmer zu mehr als 90 % für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i. S. d. EUGH-Urteils vom 12.09.2009 (Rs. C-515/07, VLNTO, NWB Datenbank, FAAAD-15376) verwendet. Strittig ist hierbei der Anwendungszeitraum der in der Ratsermächtigung vom 10.12.2015 (Entscheidung des Rates vom 10.12.2015 zur Änderung der Entscheidung 2009/791/EG und des Durchführungsbeschlusses 2009/1013/EU zur Ermächtigung Deutschlands bzw. Österreichs, weiterhin eine von den Artikeln 168 und 168a der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem abweichende Regelung anzuwenden, ABl. EU 2015 Nr. 334/12) genannten Ausnahmeregelung. Entsprechend der Ratsermächtigung werden Deutschland und Österreich ermächtigt, Vereinfachungsregelungen für den Vorsteuerabzug zu schaffen. Die 10 %-Regelung des § 15 Abs. 1 S. 2 UStG basiert auf dieser Ermächtigung. Allerdings wurde die Ermächtigung mit der Entscheidung des Rates vom 10.12.2015 dahingehend geändert, dass in Anpassung an die EU-Rechtsprechung seither auch Gegenstände und Dienstleistungen, die für den nichtwirtschaftlichen Bereich verwendet werden sollen, erstmalig explizit erwähnt werden. Der EUGH (vom 15.09.2016, Rs. C-400/15, Potsdam-Mittelmarkt, NWB Datenbank, DAAAF82022) entschied, dass die Ermächtigungsregelung für den nichtwirtschaftlichen Bereich erst ab 01.01.2016 anzuwenden ist.
Der BFH (Urteil vom 16.11.2016, NWB Datenbank TAAAF-89555) schließt sich der Rechtsprechung des EuGH an. Der BFH stellt hierbei fest, dass die BRD im Besteuerungszeitraum 2008 nicht ermächtigt war, den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG für Eingangsleistungen, die sich zu mehr als 90 % auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten beziehen, auszuschließen. Die Ermächtigung gilt für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten erst ab 01.01.2016 (BFH vom 16.11.2016, Az: XI R 15/13, NWB Datenbank, TAAAF-89555, Rn. 27). Der Unternehmer kann sich daher für die betreffenden Veranlagungszeiträume vor 01.01.2016 auf das für ihn günstigere Unionsrecht berufen (BFH vom 16.11.2016, NWB Datenbank, RAAAG-64229, Rn. 31; vgl. auch Pefferle/Renz, NWB 2016, 3527 mit w...