Rz. 70
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Im Unterschied zu § 14 Abs. 2 UStG a. F. sah § 14 Abs. 3 UStG a. F. die Möglichkeit einer Beseitigung der Rechtsfolgen durch Rechnungsberichtigung grundsätzlich nicht vor. Die ältere Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH vom 21.02.1980, Az: V R /73, BStBl II 1980, 283) ging jedoch davon aus, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens dann nicht vorlag, wenn es dem Rechnungsaussteller gelang, das Abrechnungspapier vor Verwendung durch den Adressaten wieder in die Hand zu bekommen oder zu vernichten oder wenn er die Gefährdungslage, falls er die Rechnung nicht zurückbekommen konnte, durch anderweitige rechtzeitige Maßnahmen, wie die Anzeige beim zuständigen FA, vollständig beseitigte. Für diesen Fall war der Erlass (§ 227 AO) aus sachlicher Billigkeit geboten. Die Verwaltung ließ in derartigen Fällen die Berichtigung der Rechnung sinngemäß nach § 14 Abs. 2 UStG a. F. zu (vgl. Abschn. 190 Abs. 3 S. 2 UStR 2000). Keine rechtzeitige Maßnahme i. S. d. Rechtsprechung lag hingegen vor, wenn der Unternehmer, der die Leistung anstelle des Ausstellers des Abrechnungspapiers tatsächlich erbracht hat, die Steuer anmeldete und abführte, da hier immer noch die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges aus den Abrechnungspapieren bestehen blieb (BFH vom 09.09.1993, Az: V R 45/91, BStBl II 1994, 131 – für den Fall der Ausstellung von Rechnungen auf den Namen des Schwiegervaters bei Leistungserbringung durch den Schwiegersohn; vgl. BFH vom 04.05.1995, Az: V R 83/93, BFH/NV 1996, 190 – für den Fall der Abrechnung unter dem Namen eines anderen). Nach der Rechtsprechung des BGH vom 23.11.1995, Az: IX ZR 225/94, DB 1996, 470, war ein Erlass nach § 227 AO jedenfalls dann auszusprechen, wenn die von einem Nichtunternehmer abgerechnete Leistung tatsächlich erbracht und versteuert wurde, der Leistungsempfänger die Vorsteuer vollumfänglich zurückgezahlt hat und der Nichtunternehmer einem entschuldbaren Irrtum über seine Unternehmereigenschaft unterlegen hatte.
Rz. 71
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Die in diesem Zusammenhang ungeklärten Rechtsfragen, insbesondere auch die Frage, ob eine Berichtigung in diesen Fällen generell vom guten Glauben des Rechnungsausstellers abhängt (vgl. EuGH vom 13.12.1989, Rs. C-342/87, Genius Holding, UR 1991, 83), legte der BFH in einem Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vor (BFH vom 15.10.1998, Az: V R 38/97 und V R 61/97, BFH/NV 1999, 576 – Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH in den Fällen Schmeink & Cofreth und Strobel). Im Fall Schmeink & Cofreth handelte es sich um eine nicht erbrachte Beratungsleistung, für die USt ausgewiesen wurde. Der Rechnungsempfänger hatte keine Vorsteuer geltend gemacht und die Rechnung zurückgegeben. Im Fall Strobel handelte es sich um nicht erbrachte Lieferungen, für die USt ausgewiesen wurde, der Rechnungsempfänger hatte den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen, der Rechnungsaussteller erstattete Selbstanzeige.
Rz. 72
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Das Vorabentscheidungsersuchen wurde durch den EuGH mit Entscheidung vom 19.09.2000 (Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Strobel, DStRE 2001, 1166) wie folgt beantwortet:
- Hat der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf (Rz. 61 der Urteilsgründe).
- Es ist Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf (Rz. 70 der Urteilsgründe).
Rz. 73
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Der EuGH geht demnach grundsätzlich davon aus, dass die zu Unrecht ausgewiesene USt berichtigt werden kann, überlässt aber das dazu erforderliche Verfahren den Mitgliedstaaten, wobei allerdings kein Ermessensspielraum der Verwaltung bestehen soll (Ermessensreduzierung auf null), da das Ziel in der Neutralität der USt besteht. Allerdings geht die Entscheidung des EuGH von einer rechtzeitigen und vollständigen Beseitigung der Folgen aus. Für den Fall, dass dies nicht mehr möglich ist, beispielsweise wenn die Vorsteuer nicht mehr rückabgewickelt werden kann, können die Mitgliedstaaten die Berichtigung vom guten Glauben des Rechnungsausstellers abhängig machen (Rz. 61 der EuGH-Entscheidung).
Rz. 74
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Das genaue Verfahren der Berichtigung, i. R. d. Festsetzung oder mittels Erlass, wurde damit nicht geregelt. In der Folge hat der BFH in mehreren Entscheidungen auf die Entscheidung des EuGH Bezug genommen und wie folgt geurteilt: