Rz. 39
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG ist ein Auffangtatbestand. Sofern Betreuungs- oder Pflegeleistungen an hilfsbedürftige Personen von Einrichtungen erbracht werden, die nicht nach Sozialrecht anerkannt sind und mit denen weder ein Vertrag noch eine Vereinbarung nach Sozialrecht besteht, sind die Betreuungs- oder Pflegeleistungen gleichwohl steuerfrei, wenn die Betreuungs- oder Pflegekosten oder die Kosten für eng mit der Betreuung oder Pflege verbundene Leistungen in mindestens 25 % der Fälle dieser Einrichtungen von den in der Bestimmung bezeichneten Sozialversicherungsträgern ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind. Der EuGH hat diese prozentuale Grenze grundsätzlich als vertretbare nationale Regelung angesehen, um privatrechtliche Einrichtungen den generell begünstigten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen gleichzustellen (EuGH vom 08.06.2006, Rs. C-106/05, L.u.P. GmbH, UR 2006, 464). Soweit bei der Prüfung der Sozialgrenze allerdings ausschließlich auf die Umsätze des Vorjahres abgestellt wurde, war diese Regelung mit Unionsrecht nicht vereinbar. Mit dem JStG 2020 hat der Gesetzgeber daher die Bezugnahme auf das vorangegangene Kj. gestrichen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/22850, 119) gilt demnach Folgendes:
- Nimmt der Unternehmer seine Tätigkeit im Laufe eines Kj. auf, ist auf die voraussichtlichen Umsätze abzustellen,
- ferner gilt die sog. Sozialgrenze ab dem Zeitpunkt an als erfüllt, ab dem der Unternehmer aufgrund einer Vereinbarung mit einem Sozialträger absehbar regelmäßig die 25 %-Grenze erfüllen wird,
- des Weiteren gilt die 25 %-Grenze wie bisher auch für das laufende Kj. als erfüllt, wenn diese im vorangegangenen Kj. erfüllt wurde.
Die Regelung des § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG ist v.a. für Altenheime von Bedeutung. Sofern die Leistungen des Altenheims die sog. Sozialquote von 25 % erreichen, kommt die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG in Betracht.
Rz. 40
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§ 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG stellt zudem darauf ab, dass die Betreuungs- und Pflegekosten durch die Sozialleistungsträger "vergütet" werden. Daraus schließt die Verwaltung, dass Leistungen von Subunternehmern nicht begünstigt sind (vgl. Abschn. 4.16.3. Abs. 2 S. 2 UStAE).
Der BFH hatte dagegen wiederholt entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine mittelbare Vergütung ausreichend sei (vgl. BFH vom 06.04.2016, Az: V R 55/14, UR 2016, 589; vom 07.12.2016, Az: XI R 5/15, MwStR 2017, 465 und vom 13.06.2018, Az: XI R 20/16, UR 2018, 834; vgl. auch Trinks, UR 2022, 688).
Der EuGH entschied mit Urteil vom 08.10.2020 (Rs. C-657/19, Finanzamt D, UR 2020, 871 mit Anm. Wüst, Nachfolgeentscheidung des BFH vom 24.02.2021, Az: XI R 30/20, DStR 2021, 1534), dass alleine die Subunternehmerstellung im Verhältnis zu einer anerkannten Einrichtung nicht zu einer Anerkennung des Subunternehmers als Einrichtung mit sozialem Charakter führt, wenn die Vergütung nur indirekt und pauschal erfolgt, d. h. die anerkannte Einrichtung auf die Vergütung der jeweiligen Einzelleistung des Subunternehmers keinen Einfluss nimmt. Unter der Prämisse, dass die anerkannte Einrichtung als Kostenträger die von einem Subunternehmer konkret erbrachten Leistungen kennt und die konkreten Kosten hierfür tragen will, kommt aber auch eine Steuerbefreiung von Subunternehmern in Betracht (vgl. Wüst in Wäger, UStG, § 4 Nr. 16, Rn. 128 ff., enger Lippross, Umsatzsteuer, 25. Aufl. 2022, 767 und 771). Generell für eine Umsatzsteuerbefreiung für freiberufliche Pflegekräfte vgl. Trinks, UR 2022, 688.
Rz. 41
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Unschädlich ist es, wenn die Betreuungs- und Pflegekosten nicht unmittelbar vom Sozialleistungsträger an den Unternehmer bezahlt werden, sondern an die Leistungsempfänger (vgl. BFH vom 03.08.2017, MwStR 2018, 138 mit Anm. Arendt). Budgetassistenzleistungen, die aus dem sog. persönlichen Budget i. S.d § 29 SGB IX bezahlt wurden, sind nach Auffassung einzelner Finanzgerichte (vgl. FG Düsseldorf vom 14.12.2022, Az: 5 K 2911/18, DStR 2023, 937, Rev. eingelegt unter XI R 1/23; FG Hessen vom 20.10.2021, EFG 2022, 365, Rev. eingelegt unter Az: V R 1/22) weder steuerfrei, noch sind die Zahlungen in die Sozialquote des § 4 Nr. 16 Buchst. l (jetzt m) UStG einzubeziehen (dagegen Schlegel, DStR 2023, 923).
Rz. 42
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Altenwohnheime bzw. Seniorenresidenzen sind hinsichtlich der Vermietungsleistungen nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei. Werden daneben eigenständige Leistungen der Betreuung oder Pflege erbracht, können diese unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei sein (BFH vom 03.08.2017, Az: V R 52/15, UR 2018, 22; Abschn. 4.16.4. Abs. 5 UStAE mit Verweis auf BFH vom 04.04.2011, Az: XI R 35/10, BStBl II 2011, 836), d. h., es muss sich um Pflege- und Betreuungsleistungen bzw. damit eng verbundene Leistungen handeln (vgl. Rz. 14 ff.).