Rz. 124
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Umsatzsteuerung von Reihengeschäften ist bereits zum 01.01.2020 durch die damaligen "Quick Fixes" umfassend neu geregelt worden. Gesetzliche Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung ist die Zuordnung der Warenbewegung nach dem neuen § 3 Abs. 6a UStG. Die Praxis stand bis jetzt vor der Frage, wie die Zuordnung in besonderen Einzelfällen nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung zu erfolgen hat. Das BMF hat sich dazu nunmehr erstmals positioniert und Abschn. 3.14. UStAE entsprechend fortgeschrieben (BMF, Schreiben vom 25.04.2023, III C 2 – S 7116-a/19/10001 :003, 2023/0380817, BStBl I 2023, 778).
3.3.7.3.1 Gründe für die Neuregelung zum 01.01.2020
Rz. 125
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Gesetzesänderung dient primär der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, die infolge der damals neuen und unerwarteten Rechtsprechung von EuGH und BFH entstanden sind (vgl. dazu insbesondere das EuGH-Urteil vom 27.09.2012, Rs. C- 587/10, VSTR, BFH/NV 2012, 1919 sowie die BFH-Urteile vom 28.05.2013, XI R 11/09, BStBl II 2023, 537, vom 25.02.2015, XI R 15/14, BStBl II 2023, 514 und vom 25.02.2015, XI R 30/13, BStBl II 2023, 511). Diese damals neue Rechtsprechung zur Zuordnung der Warenbewegung im Abholfall veranlasste europaweit die Finanzverwaltungen zu neuen Prüfungsansätzen:
Beispiel (Echtfall aus der Beratung):
Unternehmer D aus Dortmund beliefert den niederländischen Unternehmenskunden NL1 schon seit Jahren steuerfrei i. g. Dies mit gutem Gewissen; die bekannten formalen Voraussetzungen der §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV werden von D peinlichst genau erfüllt.
Zwischen D und NL1 sind Abhollieferungen vereinbart. Voraussetzung hierfür ist immer die vorherige vollständige Bezahlung der Ware. Erst dann, wenn die Debitorenbuchhaltung den vollständigen Geldeingang bestätigt, wird die Ware übergeben – sprich: umsatzsteuerlich geliefert.
In Abholfällen wurde bis zum 31.12.2019 üblicherweise nur
- geprüft, ob eine gültige USt-IdNr. des Kunden vorliegt, und
- der Abholende zur Unterzeichnung der Abnehmerversicherung veranlasst.
Dabei wurde insbesondere nicht geprüft, von wem das Geld überwiesen wurde.
Im Echtfall
... interessierte aber vollkommen unerwartet gerade Letzteres den Betriebsprüfer! Dabei stellte der Prüfer fest, dass die Zahlung von einem fremden Dritten (NL2) kam.
Nach Anwendung der neuen Rechtsprechung sollte die Steuerbefreiung einer i. g. Lieferung in Abholfällen von dem weiteren – ungeschriebenen – Tatbestandsmerkmal abhängig sein, dass die Verfügungsmacht an der Ware im Ursprungsland vom Kunden nicht auf einen Dritten übertragen wird.
Im Echtfall
... unterstellte die Finanzverwaltung einen mit der vorherigen Bezahlung einhergehenden Übergang der Verfügungsmacht auf NL2. Damit war nach der Rechtsprechung die Lieferung von D → NL eine ruhende, die einer bewegten vorangeht – also zwingend umsatzsteuerpflichtig.
In der Praxis führte dies dazu, dass der Verkäufer im Abholfall bei Vertragsschluss vom Kunden verlangen musste, sich zur Frage des Übergangs der Verfügungsmacht auf den eigenen Kunden – also den "Kunden vom Kunden" – eindeutig zu positionieren. Ein Unding, das die Mitgliedstaaten durch den neuen Art. 36a MwStSystRL wieder beseitigen wollten. In Umsetzung der neuen EU-Vorgabe wurden in Deutschland in § 3 Abs. 6 UStG die Sätze 5 und 6 gestrichen und ein neuer § 3 Abs. 6a UStG angefügt.
HINWEIS
Die Neuregelung von MwStSystRL und UStG soll also
- ein Problem beseitigen, das sich vollkommen unerwartet aus der Rechtsprechung von EuGH und BFH ergab, und
- die Rechtslage herbeiführen, von der die Finanzverwaltung und die Unternehmer immer und wie selbstverständlich ausgegangen sind – die aber rein rechtlich nicht gegeben war,
vgl. Weimann, Umsatzsteuer auf den Export und Import von Waren / Praxisleitfaden für Einkauf und Verkauf, a. a. O., Kap. 24.1; Weimann, a. a. O. = Teil 1 = PIStB 2023, 210, Abschn. 1.
3.3.7.3.2 Das BMF-Schreiben hat drei Jahre auf sich warten lassen
Rz. 126
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Gesetzesänderung ist zum 01.01.2020 in Kraft getreten. Erst am 25.04.2023 wurden das zu besprechende BMF-Schreiben veröffentlicht und der UStAE fortgeschrieben. Das mag v. a. daran liegen, dass die gesetzliche Neuregelung lediglich die Rechtslage herbeiführen soll, von der die Finanzverwaltung schon immer ausgegangen ist (vgl. dazu Rz. 125).
Entsprechend bringt das BMF-Schreiben auch keine grundlegenden Neuerungen und schreibt den bisherigen Abschn. 3.14. UStAE lediglich an geeigneter Stelle fort. Dennoch müssen in der Praxis vereinzelte Neuerungen beachtet werden (Weimann, Umsatzsteuer auf den Export und Import von Waren / Praxisleitfaden für Einkauf und Verkauf, a. a. O., Kap. 24.2; Weimann, a. a. O. = Teil 1 = PIStB 2023, 210, Abschn. 2).
Leider hat das BMF die Chance vertan, mit dem neuen Schreiben auch die schon lange bekannten Problembereiche gebrochener Transport- und Vereinfachung der i. g. Dreiecksgeschäfte anzugehen (vgl. dazu Rz. 142 f.).
3.3.7.3.3 Legaldefinition des Reihengeschäfts
Rz. 127
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Das Gesetz stellt die Reihengeschäfte den "normalen" Liefergeschäften im Grundsatz gleich. Das Verständnis d...