Rz. 248
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Hat der leistende Unternehmer für eine
- nach dem 30.06.2020 und
- vor dem 01.08.2020
- an einen anderen Unternehmer
erbrachte Leistung in der Rechnung den vor dem 01.07.2020 geltenden Steuersatz (19 Prozent anstelle von 16 Prozent bzw. 7 Prozent anstelle von 5 Prozent) ausgewiesen und diesen Steuerbetrag abgeführt, wird es aus Vereinfachungsgründen nicht beanstandet, wenn der Unternehmer in den Rechnungen den USt-Ausweis nicht berichtigt. Einem zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfänger wird aus Gründen der Praktikabilität aus derartigen i. S. v. § 14c Abs. 1 UStG unrichtigen Rechnungen auch für die nach dem 30.06.2020 und vor dem 01.08.2020 seitens eines Unternehmers erbrachte Leistung ein Vorsteuerabzug auf Grundlage des ausgewiesenen Steuersatzes gewährt. Für Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG schuldet, gilt dies entsprechend für die vom Leistungsempfänger berechnete Steuer.
Damit gibt es im Ergebnis den vollen Vorsteuerabzug auch bei zu hohem Steuerausweis! Im B2B-Bereich ist die USt grundsätzlich ein "durchlaufender Posten". Führt der leistende Unternehmer – aufgrund von Umstellungsproblemen – 19 Prozent bzw. 7 Prozent an das Finanzamt ab, wird es im Juli nicht beanstandet werden, wenn der Leistungsempfänger die ausgewiesene, vom Leistenden abgeführte und von Leistungsempfänger bezahlte USt als Vorsteuer geltend macht. Ein Praxisfall verdeutlicht das Problem vieler Unternehmen/Mandanten:
Der deutsche Reifenhersteller R verkauft dem ebenfalls deutschen Automobilhersteller A 10.000 Reifen. Der Spediteur beginnt am 30.06.2020 mit dem Verladen. Alle Reifen werden am 02.07.2020 abgeholt sein.
Umgangssprachlich tätigt R gegenüber A
- eine (1) Lieferung
- im Umfang von 10.000 Reifen.
Umsatzsteuerlich führt der Vorgang dagegen zu
- 10.000 Lieferungen
- im Umfang von einem (1) Reifen.
Für jede dieser 10.000 Lieferungen ist damit eigentlich gesondert der Lieferzeitpunkt zu bestimmen:
- Soweit die Reifen am 30.06.2020 verladen werden, erfolgen die Lieferungen zum bisherigen allgemeinen USt-Satz 19 Prozent.
- Soweit die Reifen am 01./02.07.2020 verladen werden, erfolgen die Lieferungen zum abgesenkten USt-Satz 16 Prozent.
R müsste daher die Rechnung nach Steuersätzen splitten und dazu den genauen Ladezeitpunkt der einzelnen Reifen erfassen. Das Splitten ist in der Praxis häufig tatsächlich nicht möglich. R kann nur den Gesamtvorgang erfassen und diesen entweder mit 19 Prozent oder mit 16 Prozent abrechnen:
- Rechnet R insgesamt – also alle Lieferungen – mit 19 Prozent ab, ist der Ut-Ausweis für die nach dem 30.06.2020 verladenen Reifen zu hoch. Kunde A wäre insoweit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
- Rechnet R insgesamt mit 16 Prozent ab, ist der USt-Ausweis für die vor dem 01.07.2020 verladenen Reifen zu niedrig. R müsste daher aus dem vermeintlichen (Netto-)Entgelt die Differenz nachzahlen.
Auch auf Drängen der Bundesteuerberaterkammer (BStBK) sieht das BMF nunmehr die o. a. Nichtbeanstandungsregelung vor. Damit kann
- R (unter den weiteren Voraussetzungen) alle Lieferungen der (bisherigen) 19 %igen USt unterwerfen und
- Kunde A (unter den weiteren Voraussetzungen) den vollen Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen.
Rz. 249
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach zutreffender Auffassung der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) ist die Billigkeitsregel zwingende Folge des Neutralitätsgrundsatzes. Doch die BStBK geht in ihrer Stellungnahme vom 19.06.2020 weiter und fordert eine entsprechende gesetzliche Regelung:
„Daher schlagen wir folgende Regelung vor:
‚Anpassung von § 27 UStG
Bei Unternehmern, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, wird es im Wege der Billigkeit nicht beanstandet, wenn diese ihr Recht auf Vorsteuerabzug i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG in Höhe des Regelsteuersatzes von 19 % (anstelle von 16 %) bzw. des ermäßigten Steuersatzes von 7 % (anstelle von 5 %) geltend machen, sofern ihnen der erhöhte Steuerbetrag von einem anderen Unternehmer in einer Rechnung unrichtig i. S. v. § 14c Abs. 1 UStG fakturiert wurde und vom zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer beglichen wurde. Die Maßnahme gilt entsprechend für Abrechnungen im Rahmen des sog. Gutschriftverfahrens nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG.’
Eine solche Regelung ist aus folgenden Gründen dringend geboten:
Aufgrund der Rechtsprechung (vgl. BFH vom 02.04.1998, V R 34/97, BStBl II 1998, 695; BFH vom 06.06.2007, V R 3/06, BStBl II 2009, 203) ist ein Vorsteuerabzug nicht zulässig, soweit der die Rechnung ausstellende Unternehmer die Steuer nach § 14c UStG schuldet. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Steuersatzänderungen bei den Unternehmern regelmäßig zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten führen. Massenhafte Rechnungs- und Vertragskorrekturen und Anpassungen von USt-Voranmeldungen sind die bürokratische Folge hieraus.
Erfolgt die Steuersatzänderung dann – wie konkret – auch noch sehr kurzfristig und zeitlich begrenzt, sodass es sogar zu mehrfachen Umstellungen kommt, ist die Umsetzung für vie...