Die Ermittlung dieser Scope-3-Emissionen stellt die meisten Unternehmen vor große Herausforderungen. Verlässliche Angaben von Lieferanten sind nur selten zu bekommen, insbesondere wenn es sich um globale Lieferbeziehungen handelt. Generische Werte aus öffentlich und kostenlos verfügbaren Datenbanken sind kaum belastbar, veraltet oder von zweifelhaftem Wert. Selbst kommerziell angebotene Datenbanken sind nur begrenzt valide, denn sie decken in den seltensten Fällen die konkreten Verhältnisse der jeweiligen Lieferbeziehungen ab, sondern geben nur Durchschnittswerte an, die im Einzelfall erheblich von den realen Werten abweichen können. Trotzdem werden viele Emissionsbilanzen derzeit mit den Emissionsfaktoren (also in Kilogramm CO2-Äquivalent pro kg Material) aus diesen Datenbanken erstellt (siehe Tab. 2). Sie sind allenfalls eine grobe Abschätzung der tatsächlichen Emissionen in der Lieferkette. Immerhin kann man damit die Größenordnung verschiedener Werkstoffe berücksichtigen: Verwendet man Stahl oder Aluminium, Polyethylen oder PET? Die Unterteilung nach Herkunftsland ist schon schwieriger. Meistens liegen nur Mittelwerte für ganze Regionen vor. Schließlich handelt es sich selten um aktuelle Zahlen, sondern die Erhebungen liegen oft schon einige Jahre zurück.
Ist ein Unternehmen in der glücklichen Lage, von seinen Lieferanten Emissionswerte für die gelieferte Ware zu bekommen, so ist dennoch ein gesundes Misstrauen angesagt: Wie hat der Lieferant diese Werte ermittelt, denn er steht ja vor dem gleichen Problem wie das eigene Unternehmen? Wurden sie geschätzt? Hat er auch die Werte seiner Lieferanten berücksichtigt? Analysen zeigen, dass der Hauptbeitrag der Emissionen aus der Lieferkette meistens erst nach der dritten oder vierten Lieferantenstufe auftritt, nämlich dann, wenn Grundstoffe aus Asien oder anderen Regionen bezogen werden. Eine weitere knifflige Frage ist, wie der Lieferant die Emissionen für genau jenes Produkt, das man als Unternehmen kauft, ermittelt hat. Denn hier sind eigentlich Emissionsfaktoren aus einer anderen Bilanzwelt erforderlich: aus der Produktbilanzierung, wie sie z. B. die internationale ISO-Norm 14067 vorgibt, nicht aber aus der Unternehmensbilanz, wie sie in dem Konsortialstandard des Greenhouse Gas Protocols (einer privatwirtschaftlichen Initiative) oder der ISO-Norm 14064-1 beschrieben wird. Denn diese ermittelt nur die Gesamtemissionen des Unternehmens, nicht aber differenziert nach den einzelnen Produkten. Dazu wären viel aufwendigere Berechnungen erforderlich, die zwar von ersten IT-Unternehmen angeboten werden, aber bisher noch die Ausnahme sind. Im Folgenden werden deshalb unter Scope-3 sprachlich nur die Emissionen in der Vorkette verstanden, die bei der Bilanz aber mindestens um den Geschäftsverkehr, die Entsorgung der Produktionsabfälle usw. ergänzt werden müssen (s. u.).
Will ein Unternehmen seine Emissionen in der Lieferkette genau ermitteln, so müsste es alle Lieferanten und Vorlieferanten befragen und validierte Zahlen für die eingekauften Produkte anfordern. Das scheitert an der mangelnden Kooperation der Akteure, vor allem aber an der großen Zahl und damit an der Praktikabilität. Für externe Prüfer sind diese Zahlen auch nicht mehr nachprüfbar. Die so ermittelten Scope-3-Emissionen sind allenfalls eine grobe Schätzung.