Wer den Change ausruft, hat den Nutzen dafür direkt vor Augen. Aus Sicht einer Geschäftsführung ist ganz klar, wo die Reise hingehen muss. Immerhin steckt i. d. R. einiges an geistiger Vorarbeit, Reflexion oder Austausch mit anderen Managerkollegen dahinter. Der Leuchtturm der Veränderung ist klar. Die Begeisterung ist da. Und es gibt das Gefühl, gerne den Schalter sofort umzulegen, damit sich schnell etwas im Unternehmen verändert.
Manager sind dann mental wie eine Lok, die mit Volldampf vorausfahren wollen, aber vergessen, dass es hinter ihnen viele Wagons – sprich Mitarbeiter – gibt, die noch in einer ganz anderen Perspektive sind. Die Gefahr, sie abzuhängen und den Change damit in einen Stillstand zu bringen, ist daher groß.
Nehmen wir als Beispiel einen Messe- und Kongressveranstalter, der auf Nachhaltigkeit umstellen möchte. Denn sog. Green Events sind voll im Trend. Sponsoren fordern zunehmend eine umweltschonende und sozial verträgliche Ausrichtung von Events. Die 3 Säulen nachhaltiger Veranstaltungen sind: Umwelt schonen, regionale und lokale Wirtschaft unterstützen, sozial handeln.
Die Geschäftsführung der Veranstaltungsfirma müsste sich zunächst überlegen, was eine Umstellung auf diese Prinzipien für die Mitarbeiter bedeutet. An welchem Punkt stehen sie und müssten abgeholt werden? Besteht schon ein Problembewusstsein, wieso jetzt der durchaus aufwändige Weg zu Green Events beschritten werden muss?
Berner lenkt den Blick darauf, dass man keinesfalls alle Veränderungsprozesse über einen Kamm scheren darf. Man muss genau hinschauen, um welche Art von Veränderung es sich im konkreten Fall handelt. Um mögliche Reaktanz abzuschätzen, empfiehlt er, den anstehenden Change zum einen danach einzuschätzen, wie niedrig bzw. hoch die wahrgenommene Bedrohlichkeit für die Mitarbeitenden einzuschätzen ist; zum anderen wie hoch bzw. niedrig das Ausmaß von nötigen Einstellungs- und Verhaltensänderungen ist.
(Fortsetzung)
Wie bedrohlich könnten Mitarbeiter die Ausrichtung auf Green Events wahrnehmen?
Zunächst bedeutet dies eine Menge Zusatzarbeit, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. So muss z. B. sichergestellt werden, dass ein Veranstaltungsort gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, die wenig CO2-Ausstoß verursachen. Oder dass Mehrweggeschirr statt Einwegverpackungen eingesetzt werden. Die Liste ist lang, die zu beachten ist.
Bedrohlich könnte es aus Sicht der Mitarbeiter sein, wenn sie sich aktuell nicht kompetent in den Themen sehen, aber die Geschäftsführung auf eine schnelle Umsetzung drängt, gepaart mit der typischen Situation, dass der Change "on top" im Tagesgeschäft ist.
Für die Anforderungen eines Change-Prozesses gibt es keine Extrazeit. Das unterstreicht eine Studie von Schmidt, der zufolge 80 % der 271 befragten Führungskräfte und Mitarbeiter in Veränderungsprozessen keinerlei Entlastungen von ihrer üblichen Arbeit erhalten, obwohl sie einen Großteil ihrer Zeit für die Change-Projekte aufbringen müssen. Das sorgt für Arbeitsverdichtung, Zeitdruck und Überstunden.
Gerne wird übersehen, dass jeder Change-Prozess Arbeit und Energie kostet. Solch eine Situation fördert weder das Engagement für die Veränderung noch die Qualität der Umsetzung. Wenn darüber hinaus die Belastung groß ist, kann es schnell passieren, dass Menschen ausbrennen. Eine Studie an 133 Führungskräften kommt zu dem Ergebnis, dass im Kontext von Change-Prozessen bei gut der Hälfte der Befragten eine mittlere Erschöpfung festzustellen ist, bei weiteren rund 23 % sogar eine starke ("klinische") Erschöpfung.
Der zweite Aspekt betrifft das Ausmaß geforderter Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Wenn wir von dem Fall ausgehen, dass die Mitarbeiter bisher kaum auf nachhaltiges Arbeiten Wert gelegt haben und keine Erfahrungen haben, könnte man dies etwa mit der ersten Stunde Autofahren in der Fahrschule vergleichen. Es gibt also viel dazu zu lernen. Und wenn jemand die Nachhaltigkeitsbestrebungen komplett ablehnt, wird es richtig anspruchsvoll. Denn die Veränderung von Einstellungen ist mit eine der schwersten Aufgaben, wie die Sozialpsychologie lehrt.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt Berner: "Je genauer Sie einschätzen können, welche Reaktionen Ihr Vorhaben bei Ihren Mitarbeitern und Führungskräften auslösen wird, desto treffsicherer können Sie ableiten, wie Sie vorgehen müssen, um den Veränderungsprozess in Gang zu bringen, am Leben zu erhalten und zum Erfolg zu führen. Der Schlüssel liegt dabei darin, zu verstehen, welche Emotionen die von Ihnen beabsichtigten Veränderungen bei den Betroffenen auslösen werden."
2 Emotionen spielen bei Veränderungen eine herausgehobene Rolle: zum einen Angst, zum anderen ein Gefühl, dass man in der Psychologie "Reaktanz" nennt – eine Mischung aus Unwillen, Abwehr und Trotz.
Angst hat Vorrang vor allen anderen Gefühlen und Bedürfnissen. Sie hat eine überlebenssichernde Funktion und ist ein bewährtes Programm der Evolution. Sie lenkt unsere v...