Viele Menschen erleben Konfliktsituationen als belastend, sie erleben einen erhöhten Stresslevel und versuchen Konflikte zu vermeiden. Fatalerweise kann genau das dazu führen, dass sich Konflikte verschärfen. Grundsätzlich kann ein Konflikt beschrieben werden als
- eine Spannungssituation,
- in der 2 oder mehr Personen oder Gruppen die voneinander abhängig oder aufeinander angewiesen sind,
- unterschiedliche Meinungen, Interessen, Absichten, Ziele usw. vertreten,
- die für die Zusammenarbeit oder das -leben wichtig sind und
- über die eine Entscheidung getroffen werden muss.
Gerade in Projekten dürften derartige Situationen häufig auftreten – und es wäre geradezu fatal, geschähe dies nicht. Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass etwas Neues erreicht werden soll. Also naturgemäß mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten versehen. Hätten alle Projektbeteiligten dieselbe Idee, wie konkret mit den Unwägbarkeiten und Fährnissen umgegangen werden soll, gäbe es vielleicht keine Sach-Konflikte und alle würden in die gleiche Richtung laufen. Gleichzeitig wäre nicht klar, ob diese Richtung zielführend ist. Unabhängig davon träten nichtsdestotrotz Rollenkonflikte, Machtkämpfe, Besitzstandswahrungskonflikte etc. auf.
Projektverantwortliche sollten also gerade zu Beginn eines Projekts ein hohes Augenmerk darauf richten, eine geeignete Konfliktkultur im Projekt zu implementieren, nicht erst dann, wenn die Konflikte aufgrund zunehmender Heftigkeit das Projekt massiv behindern.
1.1 Balance zwischen Transparenz und Respekt
Auf den großartigen Kommunikationsexperten Friedemann Schulz von Thun geht ein Modell zurück, das das grundlegende Spannungsfeld beschreibt.
Abb. 1: Konfliktkompetenz
Eine gelungene Konfliktkultur zeichnet sich dadurch aus, dass Meinungsverschiedenheiten einerseits mit einer hohen Transparenz ausgetragen werden. Diese Transparenz sollte in einer ausgewogenen Balance zu einem wertschätzenden Umgang mit den beteiligten Personen stehen. Wann immer die Waage zu einer Seite ausschlägt, also die Transparenz in aggressive Angriffe ausartet oder die Wertschätzung dahin übertrieben wird, dass bestimmte Themen nicht angesprochen werden, "weil man die entsprechende Person nicht verletzen möchte", entstehen gefährliche Kraft- und Ressourcen fressende Muster, die in nicht wenigen Fällen einen Projekterfolg verhindern können.
Die Ursachen für derartige Muster sind vielfältig und können sowohl auf einer persönlichen Ebene als auch in ungünstigen Organisations- und Ablaufstrukturen liegen. Einen guten Anhaltspunkt für Hebel, um konfliktträchtige Inkonsistenzen zu erkennen und zu beheben, bietet eine Analyse nach dem IntegralChange(r) Prinzip.
1.2 Die Landkarte ist nicht das Land
Das menschliche Gehirn ist einerseits ein sehr leistungsfähiges Organ, es ist in der Lage komplexe Sachverhalte zusammenzudampfen, Verknüpfungen herzustellen, Schlussfolgerungen zu ziehen, Selbstreflexion zu ermöglichen, Sinneseindrücke aus unterschiedlichsten Kanälen mit mehreren Millionen Einzelinformationen pro Sekunde zu einem für uns erfassbaren Bild zu verarbeiten und parallel dazu noch die eigenen Körperfunktionen zu steuern. Andererseits führt genau diese Leistungsfähigkeit zu einigen Phänomenen, die Kommunikation erschweren und sehr konfliktträchtig sind. Einige wesentliche möchte ich kurz skizzieren:
Das Gehirn filtert Informationen aus
Das Gehirn hat im Laufe der Evolution eine Reihe von Mechanismen entwickelt, um aus der Fülle von Informationen diejenigen herauszufischen, die ihm relevant erscheinen. Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Ein Forschungszweig, der sich damit befasst, ist die Primingforschung. Hier geht es u. a. darum, wie durch bestimmte z. B. verbale Reize, die Filter quasi justiert werden können. Mir ist im Kontext dieses Beitrags wichtig: Das Gehirn jedes Menschen filtert Informationen aus der Fülle der möglichen Informationen aus – ohne seinen Besitzer darüber zu informieren. Der Prozess geschieht unbewusst. Weil Menschen aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen und Bezugsrahmen unterschiedliche Filter haben, nimmt jeder Mensch nur einen relativ kleinen und vor allem unterschiedlichen Ausschnitt der Realität wahr. Diskussionen darüber, ob jemand etwas gesagt habe oder nicht sind mithin völlig müßig und unproduktiv.
Eines der beeindruckendsten Experimente hierzu ist der Versuch der amerikanischen Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons. Der entsprechende Film kursiert in vielfachen Variationen im Internet, Trainer setzen ihn gerne im Seminar ein. Die Zuschauer werden gebeten, die Zahl der Pässe der weiß gekleideten Spieler bei einem Basketballspiel zu zählen. Nahezu jeder erzielt das richtige Ergebnis – und übersieht komplett, dass während des Spiels ein Gorilla durchs Bild läuft. In Trainings habe auch ich erlebt, dass Menschen den Gorilla nicht haben hineinlaufen sehen, sondern er "plötzlich mitten im Bild stand". Chabris und Simons haben über die selektive Wahrnehmung 2010 ein Buch geschrieben.
Im Grunde genommen ist das einfach ein Nebeneffekt unserer Fähigkeit, uns zu konzentrieren und das b...