Green Nudging: nachhaltiges Verhalten im Unternehmen anstoßen


Green Nudging: Definition und Konzept

Nachhaltigkeit wird häufig mit Verzicht, Verlust und Verboten verknüpft. Sogenannte Green Nudges können dabei helfen, Menschen ohne Verbote zu nachhaltigem Handeln zu bewegen. Um gewünschte Verhaltensänderungen zu erreichen, setzen Nudges an der Entscheidungsarchitektur an. In dieser neuen Serie stellt Matthias Höppner Praxisbeispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen vor.

Regelmäßig zeigen Umfragen, dass viele Menschen gewillt sind, nachhaltige Produkte zu kaufen und sich generell nachhaltiger zu verhalten. Auch Unternehmen setzen das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf ihre Agenda und setzen sich ambitionierte Ziele. Für den Launch nachhaltiger Produkte oder die Einführung von Nachhaltigkeitsinitiativen in Unternehmen scheint jetzt der perfekte Moment zu sein, will man meinen. 

Die Diskrepanz zwischen Sagen und Tun 

Doch wenn wir das tatsächliche Verhalten betrachten, das sich in Käuferdaten oder umgesetzten Nachhaltigkeitsinnovationen widerspiegelt, erkennen wir eine deutliche Diskrepanz. Offenbar folgen Worten nicht immer auch Taten. Von über 10.000 befragten Personen einer Studie im Jahr 2021 gaben 92 Prozent an, dass ihrer Meinung nach die Art und Weise, wie wir heute mit dem Planeten umgehen, einen erheblichen Einfluss auf die Zukunft haben wird. Aber 48 Prozent sagten, dass für sie Bequemlichkeit Vorrang hat, obwohl sie eigentlich mehr auf die Umweltauswirkungen ihres Kaufverhaltens achten sollten.

Diese Diskrepanz wird auch als Intention-Action-Gap oder Attitude-Behaviour-Gap bezeichnet. Die Anthropologin Margarete Mead brachte es bereits vor vielen Jahren auf den Punkt: "Was Menschen sagen, was Menschen tun und was Menschen sagen, was sie tun, sind vollkommen unterschiedliche Dinge". Wie also können wir Menschen dazu bringen, sich wirklich nachhaltiger zu verhalten?

Die psychologischen Barrieren des Tuns

Dafür gilt es zunächst die psychologischen Hintergründe zu verstehen. Diese wurden bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Studien erforscht. Zwar sind sie oft komplex und nicht immer einfach zu isolieren, aber es gibt einige konkrete Erklärungsansätze, die uns besser verstehen lassen, was Menschen davon abhält, Veränderungen herbeizuführen. Neben der Sozial- und Kognitionspsychologie bieten auch die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie aufschlussreiche Einblicke:

Menschen kommen bei Abstraktem nicht ins Handeln

Wenn Ereignisse oder Konsequenzen abstrakt, unkonkret oder nicht greifbar sind, kommen Menschen nur bedingt ins nachhaltige Handeln. Wir leben stark im Hier und Jetzt, bekannt als Present Bias. Daher  ignorieren wir oft die Konsequenzen, wenn sie in der Zukunft liegen oder sich auf einen anderen Ort beziehen. Der Klimawandel wirkt sich irgendwann in 20-30 Jahren aus, auf meinen SUV will ich heute nicht verzichten. Und wirklich spürbar werden die negativen Auswirkungen in der Sahelzone, aber doch nicht bei uns im Sauerland. Das ist ganz weit weg und geht mich nichts an. Doch nicht nur zeitliche und räumliche Distanz sind Facetten des Abstrakten, auch zum Beispiel Energieverbrauch oder CO2-Emissionen sind nicht sichtbar und damit kaum greifbar. Daher lassen Menschen sich schlecht motivieren, das Fenster zu schließen, wenn die Heizung auf Stufe 5 läuft.

Menschen orientieren sich an der nicht-nachhaltigen Masse

Das Nachahmen anderer war schon zu Zeiten, als wir nichts anderes trugen als einen Lendenschurz, der effizienteste Weg zu lernen. Unser Gehirn ist dabei vor allem darauf programmiert, das Verhalten der Mehrheit zu imitieren. Sozialwissenschaftler:innen haben den Einfluss des Peer-Verhaltens in vielen Bereichen nachgewiesen. Wir bauen größere Häuser, fahren immer größere SUVs oder beteiligen uns an einer Vielzahl energieintensiver Aktivitäten, nicht primär, weil die tatsächlichen Kosten für den Planeten nicht vollständig berücksichtigt werden, sondern vor allem, weil wir uns so verhalten wie die Menschen in unserer privaten und beruflichen Bubble. Und für die Mehrheit dieser Bubbles ist nachhaltiges Verhalten nicht die Norm. 

Menschen sind Gewohnheitstiere

Viele Verhaltensweisen, etwa wie wir zur Arbeit pendeln, was wir kaufen, wie viel wir wegwerfen, was wir in der Kantine essen oder wie wir Produkte und Verpackungen entsorgen, sind Teil unserer täglichen Routinen. Oft besteht der Schlüssel zur Verbreitung nachhaltiger Verhaltensweisen darin, zunächst schlechte Gewohnheiten abzulegen und dann neue, nachhaltigere zu etablieren.

Menschen lassen sich mit nüchternen Fakten wenig bewegen

Seit Jahrzehnten erklären Wissenschaftler:innen mit Zahlen, Daten und Fakten, was zu tun ist, um den Klimawandel zu bremsen. Doch rational argumentierende Vernunft allein bewegt Menschen nicht dazu, ihre Lebensweise zu ändern oder Unternehmen zu nachhaltigem Wirtschaften zu motivieren. Es ist frustrierend, immer wieder von drohenden Katastrophen zu hören. Disaster Porn mit beängstigenden Diagrammen. Diese Prognosen lähmen uns, anstatt ins Handeln zu kommen. Nachhaltigkeit wird, wie Maja Göpel sagt, oft mit den drei Vs assoziiert: Verzicht, Verlust und Verbote. Nachhaltigkeit macht keinen Spaß und weckt eher negative Emotionen.

Die psychologischen Barrieren für nachhaltiges Handeln sind zahlreich, aber das sind längst noch nicht alle. Kontexte wie kulturelle Identität, der gesellschaftliche Zeitgeist und wirtschaftliche Faktoren spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle.

Green Nudging als ein Lösungsansatz für mehr Tun

Genau hier setzt das Green Nudging als Teilgebiet der Verhaltenswissenschaften an. Mit sogenannten Interventionen, kleinen aber effektiven Eingriffen in die Entscheidungsarchitektur,  will man Menschen zu mehr Nachhaltigkeit bewegen. Zu mehr Tun. Und das ohne Regeln, finanzielle Anreize oder Verbote. 

So versucht man neue Lifestyles beziehungsweise Handlungsweisen zu etablieren, indem man die nachhaltige Option zum Standard macht. Oder man verändert Dinge so, dass nicht-nachhaltiges Verhalten schwieriger wird. Man setzt auf soziale Imitation und macht nachhaltiges Verhalten zur neuen sozialen Norm, die dann von möglichst vielen Menschen kopiert werden kann. Man macht über Feedback-Mechanismen abstrakte Dinge wie etwa den Energieverlust konkret und sichtbar. Oder man nutzt Gamification oder ein verändertes Framing, damit Nachhaltigkeit endlich Spaß macht und positive Emotionen weckt.

Neue Serie zu Green Nudges in der Praxis

Alle zwei Wochen präsentiert Matthias Höppner, einer der Köpfe hinter green-nudges.com, hier konkrete Beispiele für Green Nudging in verschiedenen Branchen. Zum Start geht es um das Thema Abfall/Recycling, gefolgt von Energie, Ernährung und Handel.

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Über den Autor
Matthias Höppner, der Initiator und Editor-in-Chief von green-nudges.com, und sein Team veröffentlichen auf ihrer Website, LinkedIn und Instagram jede Woche einen neuen Green Nudge aus aller Welt. Die Seite ist eine der führenden Plattformen für grüne Interventionen, die Menschen zur Inspiration für ihre Arbeit und Projekte nutzen können. Zusätzlich zur wöchentlichen Serie bietet das Team ein Beratungsangebot für Unternehmen an, um ihnen dabei zu helfen, passende Green Nudges zu identifizieren, mit denen sie Mitarbeiter und Kunden zu nachhaltigem Verhalten bewegen.

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeitsmanagement