Wie der „Product Carbon Footprint“ die Bauindustrie dekarbonisiert
Die Klima- und Umweltauswirkungen des Baubereichs werden weithin unterschätzt. Dabei tragen Gebäude und ihr Betrieb in Deutschland zu etwa 40 Prozent der Treibhausgasemissionen und knapp 54 Prozent des Abfalls bei. Zusätzlich beanspruchen sie die Hälfte aller produzierten Rohstoffe und führen zur täglichen Versiegelung einer Fläche von rund 80 Fußballfeldern. Das hat verheerende Folgen, wie etwa Extremwetterereignisse, die sich in langanhaltenden Dürre- und Starkregenperioden zeigen.
Ein Unternehmen ist nun angetreten, um mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeitspotenziale im Bau zu schaffen. Der Hersteller von Schalungen und Gerüsten Doka macht die Emissionen seiner Produkte sichtbar und identifiziert die großen Hebel zur Dekarbonisierung, um sie gezielt, in branchenweiter Zusammenarbeit, anzugehen. Dazu berechnet das Unternehmen den Product Carbon Footprint (PCF). Julia Weber, Head of Sustainability bei Doka, erklärt, was es damit auf sich hat.
Was genau ist der Product Carbon Footprint (PCF), und wie können auch andere Unternehmen davon profitieren?
Julia Weber: Der PCF beschreibt die Treibhausgasemissionen, die ein Produkt über seinen Lebenszyklus hinweg ausstößt. Mit seiner Hilfe können wir genau ausweisen, wie viele Treibhausgasemissionen unsere Produkte verursachen. Der PCF zeigt, wo genau im Produktlebenszyklus Emissionen freigesetzt werden und worin Potenziale zur Reduzierung liegen. Wir teilen die PCF-Daten mit unseren Kunden, damit diese klimafreundlichere Kaufentscheidungen treffen können. Wenn sie sich dann beispielsweise für Schalungen oder Gerüste mit dem geringsten CO₂-Fußabdruck entscheiden, können sie auch ihre eigene Klimabilanz verbessern.
Nutzen bereits viele Ihrer Kunden den PCF?
Ja. Viele Unternehmen haben Treibhausgasemissionen schon als Entscheidungskriterium bei ihren Beschaffungsprozessen aufgenommen. Das setzt sich immer mehr durch. Wir sehen das heute auch bei öffentlichen Ausschreibungen, beispielsweise in Skandinavien. Dort gibt es ein bestimmtes CO₂-Budget für Bauprojekte, das nicht überschritten werden darf. Da ist es hilfreich, zu wissen, wo die CO₂-Hotspots sind. Unternehmen nutzen die Daten auch für die sogenannte „Scope-3-Berechnung“ des Corporate Carbon Footprint, der im Rahmen des CSRD-Reportings spätestens ab 2025 für viele große Unternehmen in der EU verpflichtend wird.
Die Herausforderung: Product Carbon Footprint für über 7.000 Produkte
Wie erhebt Doka den PCF für eine so große Anzahl an Produkten?
Wir berechnen den PCF inzwischen für unser gesamtes Hauptproduktportfolio. Insgesamt sind das mehr als 7.000 Schalungen und Gerüste. Begonnen haben wir damit schon vor einigen Jahren. Erstmals ausgeschildert haben wir den CO₂-Fußabdruck unserer Produkte auf der bauma-Messe in München vor zwei Jahren. Das hat Eindruck hinterlassen, denn den PCF gab es in unserer Branche bis dato noch nicht. Wir haben uns dann im Rahmen des Güteschutzverbandes Betonschalungen in Europa, dem GSV, engagiert und gemeinsam mit anderen Schalungsherstellern Mindeststandards für die Berechnung von PCFs erarbeitet. Der „GSV-PCF-Standard“ ist im März dieses Jahres veröffentlicht worden. Wir sehen das als großen Erfolg für die Branche und Gewinn fürs Klima.
Wie sind Sie den PCF anfänglich angegangen?
Der Anfang war herausfordernd, denn es gab noch keine Erfahrungswerte von Dritten oder einheitliche Branchenstandards zur Berechnung. Die Digitalisierung hat uns dann sehr unterstützt, aber auch unsere systematische, gesamtheitliche Herangehensweise. Die Methodik basiert auf internationalen Standards wie ISO 14040 und 14044, die Richtlinien für die Durchführung von Ökobilanzstudien bieten. Heute entsprechen alle PCF-Daten unserer Schalungsprodukte dem neuen GSV-PCF-Standard. Die Integration in unsere internen Prozesse ist auch abgeschlossen, sodass wir den PCF direkt in jedem Angebot ausweisen können.
Product Carbon Footprint als Wegweiser für Maßnahmen
Welche Maßnahmen können Unternehmen aus den PCF-Daten ableiten?
Die Berechnung des PCF ist ein Wegweiser, um die Haupttreiber von Treibhausgasemissionen im Produktlebenszyklus zu erkennen und dann gezielt konkrete Maßnahmen ableiten und ergreifen zu können. Deshalb fließen die Erkenntnisse aus dem PCF auch in unseren Innovationsprozess ein und spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Produkte. Wir haben uns dazu entschieden, in Zukunft von Grund auf nachhaltige Produkte zu entwickeln, die aktiv dazu beitragen, unser Netto-Null-Ziel bis 2040 zu erreichen.
Wieso engagiert sich Doka so stark für die Dekarbonisierung? Sehen Sie darin einen Wettbewerbsvorteil?
Für uns ist die Dekarbonisierung ein wesentlicher Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsstrategie und strategischen Gesamtausrichtung. Die Lösung im Kampf gegen die Klimakrise liegt eindeutig in wegweisenden, innovativen Technologien und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Wir sehen Nachhaltigkeit als Schlüssel für zukünftige Geschäftschancen – und wer das versteht, hat einen Wettbewerbsvorteil.
Sehen Ihre Kunden das auch so?
Unsere Kunden stehen ja vor der Herausforderung, ihren unternehmerischen Fußabdruck zu berechnen. Sie benötigen unsere PCF-Daten also für ihre eigene Scope-3-Berechnung. Diese Daten bilden die Grundlage, um überhaupt erst Einsparungspotenziale erkennen zu können. Dann können Kunden entscheiden, welche Produkte sie einkaufen und welche nicht. Wir sehen heute, dass viele der großen internationalen Baukonzerne „Science Based Targets“ verfolgen, also selbst sehr ambitionierte Klimaziele haben. Sie fragen heute schon aktiv nach diesen Werten.
Ist der PCF einer Schalung im Verhältnis zum verarbeiteten Beton nicht am Ende ein Tropfen auf den heißen Stein?
Auch, wenn der Anteil der Schalung am Gesamtbauwerk vergleichsweise klein erscheint, sollten wir nicht unterschätzen, welchen globalen Einfluss wir haben können. Wir entwickeln Produkte, die aktiv zu unserem Netto-Null-Ziel bis 2040 beitragen. Dabei betrachten wir nicht nur unsere eigenen Prozesse, sondern die gesamte Lieferkette. Beton ist hier eine große Stellschraube. Einer der größten CO₂-Emittenten, aber auch einer der unverzichtbaren Baustoffe. Für die vielerorts dringend notwendige Sanierung von Brücken und Tunneln etwa gibt es heute keine Alternative zu Beton. Auch beim Bau von Wind- oder Wasserkraftwerken ist Beton nicht wegzudenken. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Baustoff klimafreundlicher machen. Als Schalungshersteller agieren wir genau an der Nahtstelle Schalung - Beton. Daher fragen wir uns natürlich auch, welchen Beitrag können wir zu nachhaltigerem Bauen mit Beton leisten können.
Können Sie uns verraten, wie Sie dabei vorgehen?
Wir investieren in neue Technologien zur CO₂-Reduktion im Beton, forschen zu CO₂-reduzierten Betonmischungen und arbeiten eng mit Herstellern und Bauunternehmen zusammen. Gleichzeitig investieren wir in die Entwicklung intelligenter Schalungen, die den Einsatz klimafreundlicher Betone auf Baustellen weltweit befeuern, indem sie beispielsweise die verzögerte Frühfestigkeitsentwicklung begünstigen. Unsere digitalen Lösungen unterstützen schon heute die Optimierung von Betonrezepturen zur Reduzierung von CO₂-Emissionen und ermöglichen besseres Material-, Zeit- und Ressourcenmanagement auf der Baustelle.
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