Dr. rer. nat. Ulrich Welzbacher
Zusammenfassung
Das Ampelmodell ist ein zweistufiges Konzept zur Differenzierung von Schutzmaßnahmen bei Gefahrstoffexposition. Die untere Stufe ist die Grenze zwischen nicht (mehr) vorhandener Gefährdung und dem Risiko von Gesundheitsschäden (Akzeptanzschwelle), also etwa der Bereich der früheren MAK-Werte bzw. der heutigen Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW). Die obere Stufe bildet die Grenze zwischen Gefährdung und nicht mehr vertretbarem Risiko. Sie ist, mit einigen wichtigen Differenzierungen, vergleichbar mit den früheren TRK-Werten (Toleranzschwelle). Wie bei dem bekannten Vorbild im Verkehrsbereich wird der untere Übergang gern mit den Farben "grün" und "gelb", der obere Übergang mit den Farben "gelb" und "rot" dargestellt.
- TRGS 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen"
- BekGS 911 "Fragen und Antworten zum Risikokonzept gemäß BekGS 910 (BekGS 910 ist inzwischen TRGS 910)"
1 Prinzip eines Ampelmodells
Wie bei einer Verkehrsampel besteht im "grünen" Bereich Handlungsfreiheit, d. h. man darf die Straße überqueren oder die vorgesehenen Tätigkeiten am Arbeitsplatz ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen durchführen. Der "gelbe" Bereich markiert eine Aufmerksamkeitsphase, in der es um die Feststellung geht, ob man sich eher im "grünen" oder "roten" Bereich bewegt. Wie im Verkehr, markiert die Farbe "rot" Verbot, d. h., man darf die Straße nicht überqueren oder vorgesehene Tätigkeiten am Arbeitsplatz nicht ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen durchführen (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Grundsätzliche Darstellung eines Ampelmodells
2 Beurteilung von Risiken
Am unteren Ende des "grünen" Bereiches gibt es noch den Bereich der "ubiquitären Belastung". Er beschreibt Risiken, die mit Schadstoffexpositionen verbunden sind, wie sie in der allgemeinen Umwelt vorkommen. Diese Risiken werden im Allgemeinen geringer eingeschätzt als die Risiken, die mit der Akzeptanzschwelle am Arbeitsplatz (z. B. bei Einhaltung des MAK-Werts oder des AGW) verbunden sind, da die Umweltbelastungen in der Regel deutlich unter den Konzentrationen am Arbeitsplatz liegen.
Bei den Diskussionen um die Gefahrstoffverordnung 2005 wurde das Ampelmodell v. a. im Zusammenhang mit der Beurteilung der Gefährdung durch Expositionen gegenüber krebserzeugenden Stoffen verwendet. Grundsätzlich ist es jedoch immer dann anwendbar, wenn es um die Beurteilung von Gefährdungen jedweder Art geht – auch außerhalb des Gefahrstoffbereiches. Anders als im Verkehr, wo es ziemlich eindeutig ist, wann man die Straße überqueren darf und wann nicht, ist die Anwendung des Ampelmodells im Arbeitsschutz sehr viel komplexer. Denn hier geht es i. d. R. nicht um einfache Ja-Nein-Entscheidungen, sondern um die Beurteilung von Risiken, deren Höhe meist nicht genau bekannt ist.
Um diese Frage bewegte sich auch der Streit bei der Anwendung dieses Modells, nämlich bei welchem Risiko die Grenze "grün-gelb" (Akzeptanzschwelle) und "gelb-rot" (Toleranzschwelle) gesetzt werden soll.
Der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) hat 2007 ein Konzept für die Anwendung eines Ampelmodells beschlossen. Wesentliches Element sind die Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB), bei denen die Akzeptanz- und die Toleranzschwelle ins Verhältnis gesetzt werden zu entsprechenden Konzentrationen für die betrachteten Stoffe. Die verabschiedeten ERB werden in der TRGS 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen" veröffentlicht.
Dieses Modell befindet sich seit 2008 in der Erprobung und sollte ursprünglich in die für 2015 geplante Neufassung der Gefahrstoffverordnung übernommen werden.
Da man sich jedoch über bestimmte Aspekte der Umsetzung in die Praxis – vor allem im Zusammenhang mit Asbest – nicht einigen konnte, wurde die ausdrückliche Übernahme in die Verordnung bis zum Abschluss des vom BMAS initiierten "Nationalen Asbestdialogs" verschoben, der bis heute (Anfang 2021) nicht abgeschlossen ist.