Krebserzeugende und erbgutverändernde Stoffe gehören in rund einer Million Unternehmen in Deutschland zum Arbeitsalltag. Da Firmen den Behörden gegenüber aber bis heute nicht mitteilen müssen, ob, wo und wieviel dieser Gefahrstoffe sie einsetzen (Ausnahmen bilden allein Abbruch- und Sanierungsarbeiten), lag es lange Zeit allein an der Unternehmensführung, für die Sicherheit ihrer Beschäftigten zu sorgen. Das hat sich mittlerweile durch die verbindliche Einführung des sogenannten Expositionsverzeichnisses geändert. Das Verzeichnis, das vom Arbeitgeber personenbezogen angelegt werden muss und durch die Gewerbeaufsichtsämter überprüft wird, gibt unter anderem die Höhe und Dauer der Exposition an, der die Beschäftigten an den jeweiligen Arbeitsplätzen ausgesetzt sind. Höhe und Dauer der Exposition wiederum können nur eine Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden.
Beispiel: Beryllium
Ein besonders wichtiger Gefahrstoff mit hohem Krebsrisiko ist Beryllium. Der Arzt achtet bei einer Untersuchung im Rahmen der Vorsorge daher unter anderem auf typische Schäden und Auffälligkeiten, die auf eine Berylliose oder eine Berylliumpneumonie hindeuten können. Eine Aufnahme von Beryllium bzw. dessen Verbindungen erfolgt in erster Linie durch Inhalation. Zu unterscheiden ist zwischen einer akuten Erkrankung nach kurzfristiger inhalativer Einwirkung hoher Konzentrationen (> 100 μ g/m³) und einer chronischen Berylliumerkrankung (chronische Berylliose).
Neben Beryllium stehen folgende Gefahrstoffe im Fokus der DGUV Empfehlung:
- Acrylnitril
- Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe
- 1,3-Butadien
- 1-Chlor-2,3-epoxypropan (Epichlorhydrin)
- Cobalt und seine Verbindungen
- Dimethylsulfat
- Hydrazin
Welche Vorsorgearten sind möglich?
Eine Pflichtvorsorge muss durchgeführt werden bei
- Tätigkeiten mit einem Stoff der Kategorie I A oder 1 B oder einem Gemisch der Kategorie 1 A oder 1 B im Sinne der Gefahrstoffverordnung,
- Verfahren der Kategorie 1 A oder 1 B nach TRGS 906, wenn der Gefahrstoff im Anhang der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) namentlich genannt wird (Teil 1, Absatz 1, Nummer 1),
- obengenannten Verfahren, wenn der Arbeitsplatzgrenzwert nach der Gefahrstoffverordnung nicht eingehalten wird, eine wiederholte Exposition nicht ausgeschlossen werden kann oder der Gefahrstoff hautresorptiv und eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann.
Eine Angebotsvorsorge muss durch den Arbeitgeber angeboten werden bei
- Tätigkeiten mit den im Anhang der ArbMedVV genannten Gefahrstoffen (Teil 1, Absatz 1, Nummer 1), wenn eine Exposition nicht ausgeschlossen werden kann und der Arbeitgeber keine Pflichtvorsorge zu veranlassen hat,
- Tätigkeiten mit einem Gefahrstoff, sofern der Gefahrstoff nicht im Anhang der ArbMedVV namentlich genannt wird und eine wiederholte Exposition nicht ausgeschlossen werden kann, der Gefahrstoff Stoff oder Gemisch der Kategorie 1 A oder 1 B im Sinne der Gefahrstoffverordnung ist oder die Tätigkeit mit dem Gefahrstoff als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren der Kategorie 1 A oder 1 B im Sinne der Gefahrstoffverordnung zu bezeichnen ist.
Eine Angebotsvorsorge bei einer nachgehenden Vorsorge, d.h. wenn der Beschäftigte aus seiner bisherigen Tätigkeit ausscheidet, ist durch das Unternehmen zu gewährleisten
- bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber einem Gefahrstoff der Kategorie 1 A oder 1 B oder einem Gemisch der Kategorie 1 A oder 1 B im Sinne der Gefahrstoffverordnung,
- wenn die Tätigkeit mit dem Gefahrstoff als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren der Kategorie 1 A oder 1 B im Sinne der Gefahrstoffverordnung zu bezeichnen ist.
Eine Wunschvorsorge ist dem Beschäftigten zu ermöglichen, es sei denn, aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen.
Wie läuft die Vorsorge ab?
- Der Betriebsarzt berät das Unternehmen.
- Das Unternehmen erstellt eine Gefährdungsbeurteilung, die ggf. Anlass für eine arbeitsmedizinische Vorsorge ist.
- Der Unternehmer teilt dem Arzt den Anlass für die Eignungsbeurteilung mit und beauftragt ihn, diese durchzuführen.
- Der durchführende Arzt muss sich im Vorfeld der Vorstellung die notwendigen Kenntnisse über den Arbeitsplatz des Beschäftigten sowie dessen gesundheitliche Risiken verschafft haben.
- Darauf folgt die Eingangsberatung einschließlich einer Anamnese/Arbeitsanamnese.
- Bei der allgemeinen Anamnese fragt der Arzt vor allem nach folgenden Aspekten:
- Berufskrankheiten,
- Allgemeine gesundheitliche Einschränkungen,
- Strahlenexposition,
- frühere Präkanzerosen (Vorkrebs), Tumore oder Immunerkrankungen,
- gehäuftes Vorkommen schwererer Erkrankungen oder Immunerkrankungen in der Familie,
- frühere therapeutische oder sonstige erhebliche Exposition gegen ionisierende Strahlen,
- Therapien mit Immunsuppressiva,
- frühere oder aktuell eingenommene Medikamente,
- Rauchverhalten, Alkoholkonsum,
- Beschwerden wie schlecht heilende Wunden, wiederholt schwere Infektionskrankheiten, chronischer Reizhusten, Auswurf mit Blutbeimengungen, Blut im Urin, krankhafte Hauterscheinungen.
- Bei der Arbeitsanamnese erkundigt sich der Arzt vor allem nach den folgenden Aspekten:
- Subjektive Beschreibung der aktuellen bzw. vorgesehenen Arbeitssituation, Abgleich mit der Gefährdungsbeurteilung,
- Unfälle,
- frühere Belastung durch krebserzeugende Gefahrstoffe,
- bisher ausgeführte Tätigkeiten mit vergleichbarer Gefährdung / Exposition,
- Exposition gegen Gefahrstoffen außerhalb der beruflichen Tätigkeit.
- Der Arzt führt nach eigenem Ermessen eine Untersuchung durch, die aber nicht gegen den Willen der zu untersuchenden Person stattfinden kann. Bei der körperlichen und klinischen Untersuchung werden
- die Basiswerte ermittelt (Biomonitoring),
- ein großes Blutbild ermittelt,
- eine Spirometrie (Lungenfunktionsuntersuchung) durchgeführt.
- Der Arzt stellt dabei fest, ob eine weitergehende ärztliche Untersuchung erforderlich ist. Ist sie das seiner Meinung nach, kann sie aber dennoch vom Beschäftigten abgelehnt werden. Bei potenziellen Nachuntersuchungen / nachgehenden Untersuchungen werden folgende Verfahren durchgeführt:
- BSG (Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit) oder CRP (Feststellen einer Entzündung im Körper),
- Biomonitoring, für Zytostatika: Belastungsmonitoring,
- wenn Zielorgane bekannt sind: Spirometrie, Ultraschalluntersuchung des Unterleibs/Bauch, radiologische Diagnostik des Brustkorbs,
- Ermittlung der Leberenzym-Werte/-Aktivität mit SGOT, SGPT.
- Im Anschluss an die Erstuntersuchung kommt es zu einem weiteren Beratungstermin. Neben der Beratung des Beschäftigten kann ggf. auch eine Beratung des Arbeitgebers stattfinden. Bei der Beratung des Beschäftigten werden vom Arzt unter anderem folgende Punkte angesprochen:
- Gesundheitsgefährdende Wirkungen der eingesetzten Arbeitsstoffe und deren Gemische unter Bezug auf die Gefährdungsbeurteilung und die Angaben zur Exposition,
- Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen,
- bei unklaren Fällen Empfehlung zu Nachuntersuchungen bzw. weiterführenden fachärztlichen Untersuchungen,
- Empfehlungen zu Hygienemaßnahmen und weiteren Schutzmaßnahmen.
- Zum Abschluss händigt der Arzt sowohl dem Beschäftigten als auch dem Unternehmer eine Vorsorgebescheinigung aus. Diese erhalten beide Personen in jedem Fall, egal, ob neben der Eingangsberatung auch eine Untersuchung stattgefunden hat oder nicht.
- Nach der Vorsorge muss der Arzt alle Ergebnisse auswerten. Meint er, dass die Schutzmaßnahmen am betreffenden Arbeitsplatz nicht ausreichen, hat er darüber den Arbeitgeber zu informieren und muss diesem darüber hinaus auch bessere Schutzmaßnahmen vorschlagen.
Was sind die wichtigsten Beurteilungskriterien für den Arzt?
Bei der Beurteilung sind für den Arzt vor allem folgende Punkte von Relevanz:
- Präkanzerosen (Vorkrebs),
- Therapiemaßnahmen, die das Immunsystem schwächen,
- schwere Immundefekte,
- durchgemachte oder bestehende Krebserkrankungen,
- fortbestehende und eindeutig pathologische Laborbefunde für klinisch relevante Parameter.