Dr. jur. Edgar Rose, Prof. Dr. Jürgen Taeger
Nach der Reform 2004 bestand für die betriebliche Praxis zunächst wenig Handlungsbedarf. Wer bisher seine Arbeitsstätten gemäß den Vorschriften des Arbeitsstättenrechts eingerichtet hatte, musste aktuell nichts veranlassen: Das neue Recht stellte in keiner Weise höhere Anforderungen an die Arbeitgeber als das alte Recht. Die wenigen neuen Spielräume, die für die betriebliche Praxis entstanden waren, erschienen nicht so weitgehend, dass sie bei bereits bestehenden Arbeitsstätten zu irgendwelchen Aktivitäten herausfordern konnten.
Änderungen wurden von der Arbeit des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) erwartet, der die Aufgabe erhalten hatte, Technische Regeln für Arbeitsstätten zur Konkretisierung der ArbStättV 2004 zu erarbeiten, um die veralteten Arbeitsstätten-Richtlinien zu ersetzen. Diese Technischen Regeln hat der Arbeitgeber gemäß § 3a Abs. 1 ArbStättV zu berücksichtigen, indem er sie entweder direkt anwendet oder eine gleichwertige Maßnahme ergreift. Für die Praxis besonders interessant ist § 3a Abs. 1 Satz 3 ArbStättV, wonach vermutet wird, dass der Arbeitgeber die Anforderungen der ArbStättV auf dem aktuellen Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene erfüllt, wenn er die technischen Regeln direkt anwendet.
Arbeitsstätten-Richtlinien außer Kraft
Alle Arbeitsstätten-Richtlinien (aus der Zeit vor 2004) haben nach Ablauf der zweiten Übergangsfrist am 31.12.2012 ihre rechtliche Geltung verloren.
Die Reform des Arbeitsstättenrechts ist zwar langsamer als erwartet verlaufen, weil sich der Arbeitsstättenausschuss schwergetan hat, sich auf neue Technische Regeln zu einigen. Im Ergebnis hat er jedoch sehr präzise und anschauliche und damit praxistaugliche Regelwerke hervorgebracht.
Mehr Rechtssicherheit durch neue Technische Regeln für Arbeitsstätten
Die ursprünglich beabsichtigte Flexibilisierung ist allerdings nach Inkrafttreten der ASR kaum noch zu erkennen. Die neuen Technischen Regeln sind umfangreicher als die alten ASR und auch nicht viel ärmer an verbindlichen Vorgaben. Vergrößerte Spielräume für eigene betriebliche Lösungen sind nur gelegentlich zu erkennen. Dafür bekommt die Praxis verbesserte Rechtssicherheit durch detaillierte Regelungen, die letztlich ihrem Bedürfnis nach Einfachheit und Klarheit durchaus gerecht werden dürften.
Der Verordnungsgeber selbst war vergleichsweise aktiv und hat es bis April 2024 auf 11 Änderungen der ArbStättV 2004 gebracht. Die ersten 4 Änderungen hatten nur punktuelle oder rechtsbereinigende Bedeutung. Die fünfte Änderung 2010 aber hat erwähnenswerte Veränderungen in beachtlicher Zahl hervorgebracht. So wurde der Paragrafenteil um 2 Vorschriften – vor allem um § 3 zur Gefährdungsbeurteilung – erweitert und im Anhang wurden 7 Einzelpunkte geändert. Die siebte Änderung, die im Dezember 2016 in Kraft trat, ersetzte § 6 durch eine vollständig neue Vorschrift zur Unterweisung der Beschäftigten. Die Begriffsbestimmungen in § 2 wurden überarbeitet und ergänzt. Der Anwendungsbereich wurde auf bestimmte Telearbeitsplätze ausgeweitet. Im Anhang wurde neben zahlreichen kleineren Änderungen ein sechster Punkt hinzugefügt, der Maßnahmen zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen regelt. In diesen Punkt sind mit ergänztem und überarbeitetem Inhalt die Regelungen der Bildschirmarbeitsverordnung überführt worden. Die Änderung vom 18.10.2017 hatte wiederum nur punktuelle Bedeutung, indem klargestellt wurde, dass die ArbStättV ausnahmsweise auch im Anwendungsbereich des Bundesberggesetzes gilt, wenn es um Bildschirmarbeitsplätze einschließlich Telearbeitsplätze geht. Die Änderung vom 19.6.2020 enthielt lediglich Anpassungen der Bezeichnung von Ministerien. Die zehnte Änderung vom 22.12.2020 brachte eine Neuordnung des Rechts für Unterkünfte innerhalb oder außerhalb des Geländes eines Betriebes oder einer Baustelle. Die elfte Änderung vom 27.3.2024 weitete den Nichtraucherschutz auf Cannabisprodukte und E-Zigaretten aus.
Die Corona-Pandemie, die den Geltungsbereich der ArbStättV vom März 2020 bis April 2023 erfasst hatte, stellte alle Bemühungen um den sicheren Betrieb von Arbeitsstätten in dieser Zeit vor enorme Herausforderungen. In kurzer Zeit galt es, in den Arbeitsstätten Maßnahmen zu ergreifen, die neben vielem anderen einen größeren Abstand zwischen den Arbeitsplätzen sowie zwischen Beschäftigten und Kunden, das Einziehen von Abtrennungen, die Änderung innerbetrieblicher Wegführungen oder verbesserte Lüftung betrafen. Dabei bewährte sich die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung, die den Betrieben von Anfang an ein eigenständiges Vorgehen mit Rücksicht auf örtliche Umstände zuwies. Hinzu kamen im Laufe der Pandemie zahlreiche staatliche Vorgaben von allen Ebenen der Regelsetzung. Zu den für die Praxis maßgeblichen Rechtsgrundlagen entwickelten sich während der Pandemie die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung sowie die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, die in großer Zahl auch Vorgaben für die Gestaltung der Arbeitsstätten enthielten. Nach mehrfachen Änderungen wurden be...