Dr. rer. nat. Ulrich Welzbacher
Obwohl Erfahrungen beim Menschen für die Ableitung von Grenzwerten zum Schutz von Menschen (Arbeitnehmer oder Verbraucher) naturgemäß am geeignetsten sind, liegen dazu nur in Ausnahmefällen geeignete quantitative Daten vor. Daher werden – ebenso wie bei "traditionellen" Grenzwerten (MAK, AGW) – auch für die Ableitung von DNELs vor allem Ergebnisse aus Tierversuchen herangezogen.
Erfahrungen beim Menschen bei niedrigem Gefährdungspotenzial
Bei bestimmten Effekten mit niedrigem Gefährdungspotenzial (z. B. irritativen Wirkungen, wie Nasenreizungen oder zentralnervös dämpfenden Wirkungen) liegen gelegentlich auch Erfahrungen beim Menschen vor, z. B. aus Studien mit Freiwilligen.
2.1.1 Auswahl der Endpunkte
Dabei werden aus den vorliegenden Daten zunächst die sensitivsten (hinsichtlich möglicher beobachteter Wirkungen empfindlichsten) Endpunkte ermittelt, d. h. diejenigen Effekte, die bei Exposition gegen den zu charakterisierenden Stoff bei ansteigenden Konzentrationen zuerst auftreten.
Zu berücksichtigen sind dabei sowohl
- die lokalen Effekte, also die Folgen der Einwirkung auf die Kontaktflächen des Organismus mit der Umwelt, wie z. B. Schleimhäute des Respirationstraktes und der Augen oder der Haut, als auch
- die systemischen Effekte, also die Folgewirkungen der Aufnahme der Substanz in den Organismus.
Meistens gelten für diese beiden Wirkeigenschaften unterschiedliche Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen.
Ebenso wie bei der Ableitung von MAK-Werten orientiert sich die Ermittlung von DNELs am "No Observed Adverse Effect Level" (NOAEL) für den empfindlichsten Wirkungsendpunkt mit gesundheitlicher Relevanz. Steht ein NOAEL nicht zur Verfügung, weil die vorhandene Datenbasis dies nicht hergibt, kann man auch den Lowest Observed Effect Level (LOEL) als Ausgangspunkt heranziehen.
Gelegentlich ist es auch möglich, durch Extrapolation der vorliegenden Daten einen ausreichend zuverlässigen "No Adverse Effect Level" (NAEL) zu ermitteln oder durch andere Verfahren (z. B. durch Vergleich mit strukturähnlichen Stoffen) einen geeigneten Ausgangspunkt für die Aufstellung eines DNEL zu finden.
2.1.2 Expositionswege
Während bei traditionellen Arbeitsplatzgrenzwerten (MAK, AGW) praktisch ausschließlich die inhalative Exposition (Aufnahme über die Atemwege) betrachtet wird, verlangt REACH vor dem Lieferanten die Aufstellung von DNELs für alle relevanten Expositionswege, also für systemische Wirkungen durch
- Aufnahme durch Einatmen,
- orale Aufnahme (durch Verschlucken, z. B. bei mangelnder Hygiene),
- Aufnahme über die Haut,
- lokale Reizwirkungen, z. B. an der Haut, den Schleimhäuten oder an den Augen.
Relevant sind alle Expositionswege, die im Verlauf des gesamten Lebenszyklus eines chemischen Produktes (Herstellung, Weiterverarbeitung, Verwendung, Beseitigung) zu erwarten sind.
Unterschiedliche DNELs für verschiedene Expositionsszenarien
Für jede dieser Expositionen sind grundsätzlich eigene (unterschiedliche) DNELs möglich! Dabei sind auch die unterschiedlichen exponierten Gruppen (z. B. Arbeitnehmer oder Verbraucher) zu berücksichtigen.
Aus der Zielsetzung ergibt sich zwangsläufig, dass als Ausgangspunkt der Überlegungen Studien mit dem gleichen Expositionsweg wie für den zu ermittelnden DNEL zu bevorzugen sind. Gleiches gilt für längerfristige im Vergleich zu kurzfristigen Studien, da DNELs in der Regel für die chronische Exposition (Langzeitwirkung) erstellt werden.
Liegen für einen Stoff mehrere Studien mit wiederholter Verabreichung vor, sollten die einzelnen Studien kritisch bewertet werden, um die für die weitere Bearbeitung relevanteste Studie auszuwählen. Generell sollte dabei die Studie mit der empfindlichsten Tierspezies zugrunde gelegt werden.
Aus den so gewonnenen Startpunkten für die toxikologische Beurteilung muss nunmehr die Expositionsgrenze (z. B. die höchstzulässige Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz) ermittelt werden, bei der der Lieferant davon ausgeht, dass die exponierten Personen nicht mehr gefährdet sind.
2.1.3 Verschiedene Arten der Extrapolation
Zur Emittlung eines DNEL gehören verschiedene Extrapolationen, mit deren Hilfe von den Untersuchungsbedingungen der zugrunde liegenden Tierversuche auf die Exposition z. B. am Arbeitsplatz "umgerechnet" wird. Maßgeblich sind hier:
- Zeitextrapolationen (z. B. Umrechnung von akuter Toxizität auf chronische Wirkungen),
- Interspeziesextrapolationen (z. B. Umrechnung von der Ratte auf den Menschen),
- Wegeextrapolationen (z. B. Umrechnung von oralen Studien auf inhalative Exposition; diese Umrechnung ist vor allem bei der Ableitung von Luftgrenzwerten von Bedeutung),
- Intraspeziesextrapolationen (Berücksichtigung unterschiedlich empfindlicher Individuen innerhalb einer exponierten Population).
Diese Extrapolationen resultieren in Extrapolations- oder "Sicherheitsfaktoren", durch die der jeweilige Wert (z. B. NOAEL) dividiert wird, um dem Zielwert (DNEL) näher zu kommen. Dabei ist zu beachten, dass in der Vergangenheit vor allem Luftgrenzwerte abgeleitet wurden (über Umrechnungen in diesem Bereich liegen die meisten Erfahrungen vor), DNELs aber möglicherwe...