Die Entwicklung hat ihren Endpunkt noch nicht erreicht. Die Diskussion über das Zusammenspiel von dynamischen Sitzträgern und Rückenlehnen-Mechaniken ist bisher kaum ein Thema, auch bei Experten und Entwicklern. Physiologisch betrachtet ist hier jedoch eine zentrale Schnittstelle. Es gilt, die natürlichen physiologischen Gesetzmäßigkeiten, z. B. Gelenkwinkel und Bewegungsbegrenzungen des Bandapparates, zu respektieren und im Zusammenspiel von Becken und Wirbelsäule näher zu betrachten. Dynamisches Sitzen ist mehr als nur wackelnde Sitzträger und synchron bewegliche Rückenlehnen.
3.1 Rückenlehnen-Konzepte
3.1.1 Synchronmechanik
Die eigentliche Synchronmechanik, auch Punkt-Synchron-Mechanik genannt, zeichnet sich durch eine flexible Kopplung der Rückenlehne und Sitzfläche aus. Sitz- und Rückenlehne bewegen sich z. B. im Verhältnis 1:3 (5 Grad SF-Neigung = 15 Grad RL-Neigung) proportional nach vorne und hinten mit.
Abb. 14: Synchron-Mechanik
Synchron-Mechanik – ein Irrtum?
„Historisch gesehen ist die Synchron-Mechanik nachträglich gesundgeschrieben worden. Prof. Diebschlag, der Ideengeber und Erfinder, äußerte einmal, dass die Idee aus der Ablehnung des neuen Rückenlehnen-Konzeptes entstanden ist. Der Hemdauszieheffekt der ersten Produkte stieß bei den Nutzern auf fehlende Akzeptanz. So wurde die Idee der Synchron-Mechanik entwickelt, um den Effekt zu mindern.
Physiologisch gibt es keine fundierte Untersuchung die deren gesundheitliche Relevanz und Existenzberechtigung begründen kann. Im Gegenteil spricht viel für einen offenen Winkel gemäß der skandinavischen Konzepte, die den Winkel für jeden Nutzer freigeben.”
Eine Variante davon ist die Gleitmechanik wie Glide-Tec (Grammer) oder Natural-Glide-System (Steelcase): Eine Synchronmechanik, bei der die Sitzfläche beim Zurücklehnen nach vorne gleitet, statt sich nach unten zu neigen. Arme und Kopf können so mitunter in der Arbeitsposition bleiben.
3.1.2 Wipp-Mechanik
Eine Synchronmechanik, bei der Rückenlehne und Sitzfläche fix gekoppelt sind, wie bei einem Schaukelstuhl. Es ist nur ein Kippen im festen Winkelverhältnis möglich.
Abb. 15: Wipp-Mechanik
3.1.3 Asynchron-Mechanik – Freefloat-Mechanik
Bei der eigentlichen Asynchron-Mechanik sind Rückenlehne und Sitzfläche entkoppelt und individuell einstellbar. Die Asynchron-Mechanik mit integrierter Freefloat-Mechanik soll eine gesunde Sitzhaltung und dynamisches Sitzen fördern, indem sich Sitz und Rückenlehne voneinander unabhängig nach allen Seiten hin bewegen. So wird eine ständige Bewegung des Beckens ausgelöst, die wiederum einen Bewegungsimpuls der Füße und Beine auslöst. Gleichzeitig wird das Becken leicht nach vorn gekippt.
Abb. 16: Asynchron-Mechanik
Das Ergebnis: Der Brustkorb richtet sich auf, die Halswirbelsäule streckt sich. Durch die permanente Bewegung kommt der Kreislauf in Schwung, die wechselnden Sitzpositionen beugen einer einseitigen Belastung der Wirbelsäule vor.
3.1.4 Permanentkontaktmechanik
Eine Asynchronmechanik, bei der Rückenlehne und Sitzfläche entkoppelt sind. Die Sitzfläche ist starr und die Rückenlehne bewegt sich beim nach hinten lehnen.
Abb. 17: Permanentkontakt-Mechanik
So kommt es zu einem sog. Hemdauszieheffekt, der jedoch nicht schädlich ist, sondern nur lästig empfunden wird, weil das Hemd wieder in die Hose gesteckt werden muss. Diese Technik ist meist nur in sehr günstigen Bürostühlen verwendet.
3.2 Das Ziel und das Maß ist der Mensch
Unabhängig von allen werbewirksamen Namen für die verwendeten Mechaniken bei den dynamischen Sitzkonzepten ist und bleibt der Mensch das Ziel und damit seine physiologischen und psychologischen Gesetzmäßigkeiten. Es sind insbesondere das Zusammenspiel der physiologischen Gesetzmäßigkeiten bei der Auslösung des Bewegungsimpulses und dem daraus resultierenden Bewegungsprozess zu beachten.
Es ist das prozessuale Zusammenspiel des dynamischen Sitzträgers mit der Rückenlehnen-Mechanik) (Verhältniskette) und der Interaktion mit dem Mitarbeiter (Verhaltensergonomie) als Ganzes (Systemkette) zu betrachten.
Abb. 18: Erst der Prozess als Ganzes entscheidet über den Erfolg und den Nutzen dynamischer Sitzkonzepte
Es gilt, die Schnittstellen im Prozess, an denen Leistungseinbußen entstehen, zu erkennen, genau zu definieren, die Auswirkungen statischen Sitzens zu beziffern und die Wirkung der möglichen Lösungsansätze (Sitzkonzepte) zu vergleichen.