Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst, Dr. Petra Bernatzeder
Um mit der Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung einen neuen zusätzlichen Prozess im Unternehmen zu implementieren, empfiehlt es sich, beim ersten Aufsetzen dieses Prozesses eine breitere Perspektive einzunehmen. Besonders lohnend ist es, bereits vorliegende Daten und Datenquellen in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Im Projekt "Einführung Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung" wird ein passender Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten entwickelt und etabliert
3.1 Prozessplanung im Unternehmen
Zu Beginn wurde im Rahmen eines Auftaktworkshops mit allen Beteiligten folgendes Vorgehen entwickelt und abgestimmt:
Festlegung der Ziele der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Diese Ziele stellten sich auf mehreren Ebenen dar:
- Die Rahmenbedingungen in den verschiedenen Tätigsbereichen werden einer Prüfung unterzogen. Die Geschäftsführung verpflichtet sich mit den Ergebnissen zu arbeiten, Rahmenbedingungen zu verbessern und die Akteure zu befähigen, mit dem Prozess umzugehen.
- Es wird ein Signal an die Beschäftigten gegeben, dass das Unternehmen dieses sensible Thema ernst nimmt und nachhaltig daran arbeiten wird.
Klärung der Verantwortlichkeiten im Prozess
Die Verantwortlichkeiten sind zwar rechtlich verankert, mussten jedoch zu Beginn durchdacht werden.
Im Ergebnis wurde festgehalten:
- Jede Führungskraft trägt die Verantwortung für den Prozess, für die Dokumentation und die Umsetzung der Ergebnisse in ihrem Verantwortungsbereich. Die Dokumentation der geplanten Maßnahmen mit entsprechender Wirksamkeitskontrolle kann nicht an die Personalabteilung oder an die Fachkraft für Arbeitssicherheit delegiert werden.
- Experten können entsprechend ihrer Qualifikation unterstützen; z. B. die Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Fragen zur rechtssicheren Dokumentation, der Betriebsarzt im Umgang mit möglichen bereits vorhandenen psychischen Überlastungen oder die Personalabteilung bei der Planung der Erhebung oder Entwicklung und Abstimmung von Maßnahmen.
- Der Betriebsrat wird entsprechend der gesetzlichen Regelungen in die Planung der Erhebung einbezogen, spezielle Maßnahmen werden abgestimmt.
3.2 Festlegung der möglichen Belastungsfaktoren
Bei der Vorstellung und Diskussion möglicher zu überprüfender Belastungsfaktoren kam Erleichterung auf. Die meisten Faktoren waren bereits ständiger Bestandteil der regelmäßig stattfindenden Mitarbeiterbefragung. Bisher waren Verbesserungen zu konkreten Themen im Hinblick auf Effektivität und Zufriedenheit angesetzt worden. Dass damit auch die wesentlichen Einflussfaktoren psychischer Belastung erfasst werden, lag nicht gleich klar auf der Hand. Die Sorge, sich um die persönlichen Befindlichkeiten oder Stressfolgen im Rahmen dieser Analyse kümmern zu müssen, verstellte den Blick und förderte damit die Unsicherheit (vgl. auch Abb. 2).
Nur Erhebung der möglichen Belastungsfaktoren
Bevor eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in einem Betrieb das erste Mal durchgeführt wird, bestehen oft Befürchtungen und Missverständnisse. Daher ist es wichtig, vorab festzuhalten und in der Belegschaft zu kommunizieren, dass es nur um die Erhebung und Bewertung möglicher Belastungsfaktoren geht. Ziel ist nicht, die Stressresistenz oder die Belastungsfolgen bei den Mitarbeitenden zu diagnostizieren!
Abb. 2: Konkreter Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung sind die Arbeitsbedingungen in Tätigkeitsgruppen
Die Rahmenbedingungen lassen sich in 4 wesentliche Merkmalsbereiche – Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen, Arbeitsumgebung – gliedern. Tab. 1 enthält Beispiele möglicher Belastungsfaktoren.
Merkmalsbereiche |
Belastungsfaktoren (Beispiele) |
Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe |
- Vollständigkeit der Aufgabe
- Handlungsspielraum
- Variabilität (Abwechslungsreichtum)
- Information/Informationsangebot
- Verantwortung
- Qualifikation
- emotionale Inanspruchnahme
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Arbeitsorganisation |
- Arbeitszeit
- Arbeitsablauf (Zeitdruck/hohe Arbeitsintensität, Arbeitsmenge, Taktbindung, Störungen/Unterbrechungen)
- Prozesse/Kooperation
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Soziale Beziehungen |
- zu Kollegen
- zu Vorgesetzten
- Anerkennung, Wertschätzung
- Unterstützung
- Zusammenarbeit im Team
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Arbeitsumgebung |
- physikalische, chemische Faktoren
- physische Faktoren
- Arbeitsräume, Arbeitsplatz- und Informationsgestaltung
- Arbeitsmittel
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Tab. 1: Beispiele möglicher Belastungsfaktoren
Ausführlicher als die anderen Faktoren wurde die emotionale Inanspruchnahme diskutiert, die bei manchen Tätigkeiten besonders relevant erscheint – z. B. im Beschwerdemanagement und auch im Führungsalltag bei besonders kritischen Veränderungsprozessen.
3.3 Festlegung des Vorgehens zur Gefährdungsbeurteilung
Schritt 1: Im Beispielunternehmen wird alle 2 Jahre eine ausführliche Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Projektes lief gerade die Planung der nächsten Befragung. So wurde festgelegt, dass die anstehende Befragung i. S. eines ersten Übe...