Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst, Dr. Petra Bernatzeder
Zusammenfassung
Die Diskussion um die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist geprägt von Unsicherheit und Skepsis. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist eine Form des Risikomanagements und hat das Potenzial die Arbeitswelt erheblich zu erleichtern, produktiver und zu stressfreier gestalten. Eine gut und effektiv umgesetzte Gefährdungsbeurteilung bewirkt weit mehr als lediglich die Einhaltung eines Paragrafen im Arbeitsschutzgesetz. Sie verbindet Maßnahmen zur Organisations- und Führungsentwicklung mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement und fördert nachhaltige Verbesserungen für die Leistungsfähigkeit und Vitalität von Unternehmen und Menschen auf allen Ebenen.
Der Beitrag zeigt das Vorgehen am Beispiel eines mittelständischen Handels- und Dienstleistungsbetriebs mit mehreren Standorten.
1 Rahmenbedingungen
Eigentlich ist die Gesetzeslage schon seit 1996 klar: Unternehmen sind verpflichtet, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch die möglichen Risiken für die psychische Gesundheit zu erfassen. Dennoch hat die explizite Aufnahme der Pflicht zur Erhebung der psychischen Belastung in das Arbeitsschutzgesetz seit Oktober 2013 eine besondere Dynamik hervorgerufen. Hervorragend informiert sind viele Betriebsräte. Sie sehen sich gestärkt, die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in ihren Betrieben einzufordern. Spürbar in vielen Unternehmen ist die Zunahme an Kollegen, die mit psychischen Überlastungen zu kämpfen haben. Wobei Uneinigkeit darüber besteht, wo die Auslöser dafür zu suchen sind. Einige Unternehmensvertreter sehen die Auslöser für entsprechende Symptome v. a. im privaten und persönlichen Bereich.
Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner, Personaler und Geschäftsführung fühlen sich häufig nicht ausreichend und suchen nach Wegen, um mit diesem Thema passend umzugehen.
Der Gesetzgeber gewährt aktuell großen Freiraum bezogen auf die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Festgelegt ist, dass eine entsprechende Analyse durchgeführt, die Ergebnisse dokumentiert und die Effektivität der umgesetzten Maßnahmen überprüft werden müssen. Die Aufsichtsbehörden haben verstärkte Kontrollen angekündigt. In dieser Situation einen klaren Kurs zu verfolgen, stellt für Unternehmen eine erhebliche Herausforderung dar. Die Untersuchung psychischer Belastungen ist – selbst für viele Arbeitsschutz-Experten – oft noch ein unbekanntes Terrain, das mit Vorbehalten betreten wird.
2 Ausgangssituation
Das Unternehmen verkauft und wartet Produkte der Haustechnik und betreut sowohl Zwischenhändler als auch Endkunden. Deutschlandweit hat das Unternehmen mehrere Standorte für Service/Wartung, Verkauf sowie einen Standort für Geschäftsführung und Verwaltung. Im Unternehmen sind 250 Mitarbeiter beschäftigt. Es gibt eine aktive Mitarbeitervertretung und eine Personalabteilung, die sich auch um Angebote der Gesundheitsförderung kümmert. Über einen externen Dienstleister sind Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit mit bestimmten Zeitkontingenten im Unternehmen aktiv. Angebote der Gesundheitsförderung beinhalten z. B. 2-tägige Stressmanagement-Seminare auf freiwilliger Basis, aktive Pause, Ernährungsberatung und Rückenschule für alle, aber auch spezifisch für den Außendienst. In der Planung ist die Einführung einer anonymen Coaching-Hotline, die allen Mitarbeitenden und Führungskräften psychologische Unterstützung bei der Lösung von Konflikten, Sorgen, emotionalen Problemen oder Stressüberlastung bieten soll.
Die Herausforderungen bei der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wurden in verpflichtenden Seminaren zur gesunden Führung angesprochen und anschließend gemeinsam mit der Geschäftsführung bearbeitet.
Besondere Unklarheit bestand in dem Unternehmen v. a. zu folgenden Aspekten:
- Welche Ziele gibt es? Was soll sich verbessern?
- Welche Belastungen sollen erfasst werden?
- Wie kann der Anspruch einer objektiven Bewertung erreicht werden?
- Welche Bewertungssysteme sind einzusetzen?
- Gibt es Alternativen zur schriftlichen Befragung, da im Unternehmen regelmäßig eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt wird?
- Sollen bereits vorliegende Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und der Gesundheit einbezogen werden?
- Wie ist mit den Ergebnissen umzugehen?
- Wer trägt welche Verantwortung?
- Welche Rolle spielt der Betriebsrat?
- Wie oft muss die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchgeführt werden?
3 Vom Projekt zum regelmäßigen Prozess
Um mit der Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung einen neuen zusätzlichen Prozess im Unternehmen zu implementieren, empfiehlt es sich, beim ersten Aufsetzen dieses Prozesses eine breitere Perspektive einzunehmen. Besonders lohnend ist es, bereits vorliegende Daten und Datenquellen in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Im Projekt "Einführung Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung" wird ein passender Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten entwickelt und etabliert
3.1 Prozessplanung im Unternehmen
Zu Beginn wurde im Rahmen eines Auftaktworkshops mit allen Beteiligten folgendes Vorgehen entw...