Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst, Manfred Nedler
2.1 Vereinbarungen zum Prozess
Die Ermittlung und die Beurteilung von Belastungen und Beanspruchungen sind kein Selbstzweck. Sie ergeben erst Sinn im Zusammenhang mit daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen. Mitarbeitende sind i. d. R. sowohl hoch interessiert an diesen Prozessen als auch gleichzeitig sehr skeptisch, ob da was für sie "rauskommt". Werden diesbezügliche Erwartungen erst geweckt und dann enttäuscht, so verbreitet sich Enttäuschung und Resignation. In den nächsten Jahren wird es dann sehr schwer, Beschäftigte noch einmal zur Mitarbeit zu gewinnen.
Prozess realistisch planen
Achten Sie darauf, den gesamten Prozess bis hin zur Umsetzung von Maßnahmen und einer Wirksamkeitskontrolle konkret und realistisch zu verabreden.
2.2 Information und Motivation der Beschäftigten
Alle Mitarbeitenden werden über den gesetzlichen Hintergrund, die betrieblich vereinbarte Vorgehensweise, die Zielsetzung sowie über den vorgesehenen Ablauf informiert. Im Idealfall findet diese Information persönlich im Rahmen einer kurzen Informationsveranstaltung statt. Vielleicht kann auch eine ohnehin anstehende Betriebs- oder Abteilungsversammlung genutzt werden. Zusätzlich sollte es eine schriftliche Information geben.
Wichtige Anliegen und Fragen der Beschäftigten
Beschäftigte sollten über den betrieblichen Umgang mit den erfassten Daten informiert werden. Es sollte klargestellt werden, dass keine persönlichen Aussagen in den Bericht einfließen und dass ausschließlich die Arbeits- und Belastungssituation aus Sicht des neutralen Untersuchenden darstellt wird. Vertrauensfördernd ist die Zusage, dass die Gesprächsteilnehmenden den erstellten Bericht vor Veröffentlichung zum Lesen bekommen und anschließend ein kurzes Rückkopplungsgespräch mit dem Untersuchenden stattfindet.
Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft die Auswahl der Interviewpartner. Schnell entstehen Gerüchte, dass die Lieblingsmitarbeiter des Chefs ausgewählt werden oder die besonders leistungsfähigen Beschäftigten. Die Kritierien der repräsentativen Auswahl sollten öffentlich zur Verfügung stehen.
Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass keine psychologische Bewertung der Befragten stattfindet. Häufig gibt es in der Belegschaft Befürchtungen, dass ihre individuellen Fähigkeiten im Umgang mit Stress überprüft oder nach psychischen Erkrankungen geforscht wird. Deshalb sollte unmissverständlich klargestellt werden, dass es lediglich darum geht, die Arbeitssituation und potenzielle Stressquellen präzise zu beschreiben.
2.3 Auswahl der Mitarbeitenden für die Interviews
Im Hinblick auf die Kosten macht es Sinn, die Anzahl der Interviewpartner zu begrenzen. Die Qualität des Ergebnisses wird dadurch nur minimal beeinträchtigt, denn ab einer gewissen Anzahl von Gesprächen liefert jedes weitere Gespräch immer weniger zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Ziel einer Gefährdungsbeurteilung ist es ja nicht, jeder individuellen und speziellen Situation einzelner Beschäftigter gerecht zu werden, sondern die grundsätzlichen Belastungen und Beanspruchungen zu ermitteln. Für den Umgang mit individuellen Gefährdungen bedarf es im Unternehmen zusätzlicher Strukturen und Ansprechpartner, z. B. Betriebsarzt, betriebliche Konfliktberatung oder externe Partner (Employee Assistance Program/EAP).
Bei der Auswahl der Interviewpartner ist darauf zu achten, dass sie eine möglichst repräsentative Teilmenge der Gesamtgruppe darstellen hinsichtlich ihrer Arbeitsaufgaben, ihrer hierarchischen Position, ihres Geschlechtes, ihres Alters sowie ihrer Zugehörigkeit zum Unternehmen und zum betrachteten Arbeitsbereich. Es sollten dabei alle Personengruppen repräsentiert werden, z. B. auch Auszubildende oder Mitarbeitende aus der Arbeitnehmerüberlassung. Speziell auch Mitarbeitende aus unterschiedlichen Ländern bzw. kulturellen Hintergründen sollten in die Interviews miteinbezogen werden.
Alle Arbeitstätigkeiten berücksichtigen
Laut Arbeitsschutzgesetz müssen die Gefährdungen für alle Arbeitstätigkeiten ermittelt werden. Bei der erstmaligen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung macht es Sinn, sich bei der Unterscheidung relevanter Tätigkeiten beraten zu lassen. So unterscheiden sich z. B. Büroarbeitsplätze durchaus durch unterschiedliche Belastungen. Unterschiede können z. B. in häufig verwendeter Software oder dem Kontakt mit Kunden bestehen.
Die Anzahl der Interviewpartner hängt ab von der Größe und der Homogenität bzw. Heterogenität des untersuchten Arbeitsbereiches. Hat eine Abteilung 50 Mitarbeiter, die nahezu die gleiche Arbeit verrichten, z. B. Kundenberatung für unterschiedliche Postleitzahlbereiche, so sollten 6 bis 8 dieser Beschäftigten interviewt werden. Arbeiten in dieser Abteilung jedoch unterschiedliche Berufsgruppen oder unterscheiden sich die Tätigkeiten deutlich, wird eine größere Anzahl an Gesprächen erforderlich sein.
Die Teilnahme an den Interviews muss freiwillig sein. Wenn Mitarbeitende dazu gedrängt werden, an einer Befragung teilzunehmen, kann nicht mit aussagekräftigen Ergebnissen gerechnet werden. Es ist nicht einfach, genügend Beschäftigte zu gewinnen, die dann repräsentativ fü...