Dr. rer. nat. Kirsten Sucker
Die menschliche Nase ist um ein Vielfaches empfindlicher als jedes moderne Analysegerät. Sie erfüllt damit eine wichtige Frühwarnfunktion, denn sie kann viele Stoffe bereits bei äußerst geringer Konzentration riechen, lange bevor eine gesundheitsschädliche Wirkung eintritt.
Diese Warnwirkung des Geruchssinns macht man sich zunutze, indem man beispielsweise dem heute üblichen geruchlosen Erdgas einen Schwefelgeruch beimischt. Die Odorierung von Erdgas, Flüssiggas, Autogas und anderen Brenngasen stellt eine wichtige Sicherheitsmaßnahme dar. Diese Odoriermittel müssen noch in großer Verdünnung wahrnehmbar sein, unangenehm und unverwechselbar riechen und eine alarmierende Assoziation hervorrufen.
Leider ist die Nase nicht immer verlässlich, wenn sie uns vor Gefahren warnen soll. Der Geruch von Ethylenoxid oder Dichlormethan z. B. ist erst dann gut wahrnehmbar, wenn der Arbeitsplatzgrenzwert bereits überschritten ist. Andere Gefahrstoffe sind dagegen völlig geruchslos (z. B. Kohlenmonoxid).
Gerüche werden dann bei der Grenzwertsetzung berücksichtigt, wenn sie zu einer unangemessenen Belästigung führen. So basiert beispielsweise der MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentration) von 5 ppm für Schwefelwasserstoff auch auf der Vermeidung von erheblichen Geruchsbelästigungen. Als AGW wurde ebenfalls ein Wert von 5 ppm Schwefelwasserstoff festgelegt, aber in der Begründung wird der Geruch nicht weiter erwähnt.
Stark riechende Substanzen stehen zudem im Verdacht, von der Arbeitsaufgabe abzulenken, was zu Fehlern und in der Folge zu Unfällen führen kann. Für die Occupational Safety and Health Administration – die Bundesbehörde für Arbeitssicherheit in den Vereinigten Staaten – war das Grund genug, um für die 3 Chemikalien Isopropylether, Phenylether und Vinyltoluol Grenzwerte aufgrund unerwünschter Geruchseffekte festzulegen.
Bei länger andauernder (chronischer) Exposition kann es aber auch zu Gewöhnungseffekten kommen, sodass unfallartig auftretende, möglicherweise gesundheitsschädliche Stoffkonzentrationen nicht rechtzeitig bemerkt werden. Vor diesem Hintergrund kann die kurzzeitige (Adaptation) bzw. die langfristige (Habituation) Gewöhnung an einen Geruch und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Warnwirkung als unerwünschter Geruchseffekt angesehen werden. Eine Studie mit Bootsbauern konnte beispielsweise zeigen, dass eine kontinuierliche Exposition gegenüber Styrol zwar nicht die allgemeine Riechfähigkeit beeinträchtigt, aber die Wahrnehmung von Styrol um den Faktor 10 verschlechtert.