Dr. rer. nat. Kirsten Sucker
Werden die entsprechenden Grenz- oder Richtwerte eingehalten oder sogar unterschritten, können trotzdem bei einzelnen Personen immer noch Beschwerden auftreten, denn Grenz- und Richtwerte orientieren sich i. d. R. am Durchschnittsmenschen. Es gibt Personen, die empfindlicher als andere auf Geruchs- und Reizstoffe reagieren. Diese erhöhte Suszeptibilität kann genetisch bedingt oder im Laufe des Lebens erworben sein.
3.1 Sensorische Hyperreaktivität
Personen mit einer sensorischen Hyperreaktivität reagieren auf Geruchs- und Reizstoffe, wie z. B. Parfüm oder Zigarettenrauch, mit asthmaähnlichen Symptomen, wie Atemnot und Husten. Die medizinische Diagnostik ist schwierig, denn der Allergietest ist negativ, die Lungenfunktion normal und Asthmamedikamente zeigen keine Wirkung. Es wird vermutet, dass bei diesen Personen bestimmte Rezeptoren in den Atemwegen mit größerer Dichte auftreten. Diese Rezeptoren reagieren besonders auf Capsaicin (Stoff in Chili) und vanilleartige Moleküle und heißen daher Vanilloid-Rezeptor-Subtyp 1 (VR1). Die Betroffenen reagieren auf das Einatmen von Capsaicin sehr viel häufiger und stärker als Asthmapatienten.
3.2 Atopie und Allergie
Bei einer Atemwegsallergie, wie z. B. beim Heuschnupfen, handelt es sich um eine Typ-I-Allergie. Hier reagiert zunächst das Immunsystem auf die eingeatmeten Allergene (z. B. Blütenpollen) mit der Herstellung von Antikörpern. Das Immunsystem ist nun gegen diese Antigene sensibilisiert. Die Sensibilisierung kann mithilfe eines Bluttests oder eines Haut-Pricktests ärztlich festgestellt werden. Allergische Beschwerden, wie z. B. Augentränen oder Naselaufen, treten zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf. Trifft der Organismus erneut auf die Allergene, reagiert das Immunsystem mit der Freisetzung von Histamin und weiteren Substanzen, die die Allergie-typischen, unangenehmen Symptome verursachen. Man spricht von einer Soforttyp-Allergie, weil die Symptome innerhalb von Sekunden und Minuten auftreten.
Allergiesymptome und die Beschwerden an Augen und Nase als Reaktion auf einen Reizstoff sind kaum zu unterscheiden. Hier besteht das Risiko einer Fehlinterpretation, sodass als Ursache fälschlicherweise ein Luftschadstoff vermutet wird. Etwa 40 bis 50 % der Bevölkerung sind Atopiker, d. h., sie haben eine angeborene Neigung "allergiebereit" zu sein, ohne es zu wissen, und etwa die Hälfte entwickelt auch tatsächlich eine Allergie.
Duftstoffallergie
Probleme mit Duftstoffen, z. B. in Körper- oder Raumpflegeprodukten, treten bei direktem Kontakt mit der Haut auf. Man spricht dann von einer Typ-IV-Allergie oder auch Kontaktallergie, wie z. B. bei der Nickel-Allergie. Die allergische Reaktion wird durch T-Lymphozyten, spezielle weiße Blutkörperchen, vermittelt. Sie ist damit die einzige zellvermittelte allergische Reaktion. Da die allergische Reaktion erst nach Stunden bis Tagen sichtbar wird, spricht man auch von der Spättyp-Allergie.
3.3 Chronische Erkrankungen
Eine verminderte Riechfähigkeit kann im Zusammenhang mit einer Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis), Diabetes mellitus Typ II oder der Einnahme bestimmter Medikamente auftreten. Riechstörungen sind ein häufiges Begleitsymptom bei neurologischen Erkrankungen. Insbesondere beim idiopathischen Parkinson-Syndrom und der Alzheimer-Demenz ist der Verlust des Riechsinns etwa 4 bis 6 Jahre vor den motorischen Symptomen erkennbar und damit ein wichtiges Früherkennungsmerkmal.
Eine verstärkte Geruchsempfindlichkeit tritt bei verschiedenen chronischen Erkrankungen auf, z. B. bei Migräne, Asthma oder Fibromyalgie. Der Geruch (z. B. Parfüm, Zigarettenrauch) kann bei einigen Betroffenen einen Migräne- oder Asthmaanfall auslösen.
3.4 MCS, SBS und BRI
Die Vielfache Chemikalien-Sensitivität (MCS von englisch Multiple Chemical Sensitivity) ist eine erworbene Störung, bei der mehrere Organe oder Organsysteme betroffen sind und eine Vielzahl unspezifischer Beschwerden auftreten, wie Atemnot, Augenbrennen, diffuse Schmerzen, Hautprobleme, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, chronische Müdigkeit, Geruchsempfindlichkeit etc. Die Symptome treten u. a. in Verbindung mit der Wahrnehmung von Gerüchen (z. B. Parfüm, Zigarettenrauch) bei sehr geringen Stoffkonzentrationen auf, d. h. weit unterhalb der Schwellenkonzentration der entsprechenden Substanz, die bei gesunden Personen zu Reizungen oder gesundheitlichen Wirkungen führt.
Auch wenn MCS international nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt wird, ist in Deutschland eine Einordnung nach ICD-10-GM-Klassifizierung unter T78.4 möglich. Als Berufskrankheit wird MCS nicht anerkannt, denn bislang fehlen gesicherte Erkenntnisse über Entstehung und Ursachen. Es wird vermutet, dass Störungen im komplexen Zusammenspiel von Immunsystem, Nervensystem und biochemischen Prozessen vorliegen. Da die Symptome bei Expositionsvermeidung verschwinden ...