Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeld. Haftungsprivilegierung, Vorsatz
Leitsatz (amtlich)
Vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers im Sinne des § 636 RVO liegt nur dann vor, wenn auch der Verletzungserfolg – hier ein Personenschaden, der zu einer Berufskrankheit geführt hat – vorsätzlich verwirklicht und damit mindestens billigend in Kauf genommen wurde. Der lediglich vorsätzliche Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften oder die Gefahrstoffverordnung reicht dazu nicht aus.
Normenkette
RVO §§ 636, 638, 551; SGB VII §§ 104, 108
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 23.08.2007; Aktenzeichen 1 Ca 500/07) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 23.08.2007 – 1 Ca 500/07 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schmerzensgeldansprüche.
Nach § 69 Abs. 2 ArbGG wird von der Darstellung des Vorbringens der Parteien erster Instanz abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 317 bis 303) Bezug genommen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
In Vollzug eines vor dem Landessozialgericht Essen am 21.08.2006 geschlossenen Vergleichs bewilligte die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten mit Bescheid vom 01.02.2007 eine „Rente auf unbestimmte Zeit nach §§ 56 und 62 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) für die Zeit vom 06.12.1986 bis zum 30.11.1996 und stellte dazu den Versicherungsfalltag für den 05.12.1986 fest. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheids wird auf Bl. 302 bis 305 d. A. Bezug genommen. Nach vorheriger Erkrankung vom 05.12.1986 bis zum 31.01.1987 war die Klägerin beginnend mit dem 17.02.1987 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.
In ihrer Klageschrift gab die Klägerin zunächst an, das von ihr eingeforderte Schmerzensgeld solle angesichts der Schwere der Erkrankung und der Dauer der Behandlung 100.000 DM nicht unterschreiten. Diesen Betrag reduzierte sie später auf 60.000 DM.
Mit Teil-Urteil vom 23.08.2007, dessen Streitgegenstand das mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachtes Schmerzensgeld ist, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dem Schmerzensgeldanspruch stünde die Bestimmung des § 636 RVO entgegen. Ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten sei nicht ersichtlich. Dem Vortrag der Klägerin lasse sich nicht entnehmen, dass der Beklagten die Gefährlichkeit des P-Toluidins bekannt gewesen sei.
Gegen das der Klägerin am 17.09.2007 und sodann nach Aufnahme eines Berichtigungsbeschlusses erneut am 28.09.2007 zugestellte Urteil richtet sich deren am 16.09.2008 eingelegte Berufung, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig am 28.12.2008 begründet hat.
Die Klägerin weist darauf hin, sie habe bereits erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Beklagte die im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W1 vom 24.05.1988 genannten und vorgeschriebenen Gesundheitsmaßnahmen nicht durchgeführt habe. Insbesondere habe sie vorgetragen, dass die Absaugvorrichtung defekt gewesen sei, eine Untersuchung ihres Blutbildes unterblieben sei und sie zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden sei, dass die von ihr verrichteten Arbeiten nur unter einem Abzug hätten durchgeführt werden dürfen und Schutzhandschuhe zu tragen gewesen seien. Sämtliche Vorsorgemaßnahmen seien durch die Gefahrstoffverordnung vorgeschrieben. Damit habe die Beklagte gegen die Gefahrstoffverordnung verstoßen, indem sie die Vorsorgemaßnahmen unterlassen habe. Da der Beklagten die Gefahrstoffverordnung bekannt gewesen sei, habe sie vorsätzlich gehandelt.
Die Klägerin behauptet, bereits 1977 habe Isopropanol einen Grenzwert von 400 ppm gehabt, der sodann 1996 halbiert worden sei. Der Beklagten hätte daher die Gefährlichkeit der Stoffe, denen sie – die Klägerin – ausgesetzt gewesen sei, bekannt sein müssen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Teil-Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn vom 23.08.2007, 1 Ca 500/07, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und bestreitet mit Nichtwissen, dass die Berufsgenossenschaft die Berufskrankheit in einem vor dem Sozialgericht Dortmund abgeschlossenen Vergleich anerkannt habe, ebenso wie die Behauptung, der Sachverständige Dr. K1 habe in dem Verfahren vor dem Landessozialgericht festgestellt, dass die Klägerin P-Toluidin und Isopropanol ausgesetzt gewesen sei. Sie weist darauf hin, dass es sich bei dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W1, dessen Gutachten auch aus anderen Gründen nicht verwertet werden könne, lediglich um Parteivortrag handele.
Sie ist der Auffassung, die Haftungsprivilegierung des § 636 RVO greife nur dann nicht zu ihren Gunsten, wenn ihr der Vorwurf gemacht werden könne, sie hätte sowohl hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität als auch hinsichtlich der konkreten Verletzungsfolge vorsätzlich gehandelt. Dies – so ihre Behauptung ...