Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluss nach SGB VII. gemeinsame Betriebsstätte. Gefahrgemeinschaft. Verkehrssicherungspflicht: Baustelle: Arbeitsunfall. gestörte Gesamtschuld
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der in enger Berührung miteinander Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann. Nur demjenigen, der als Schädiger von der Haftungsbeschränkung profitiert, kann es als Geschädigtem zugemutet werden, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend machen kann.
2. Grundsätzlich trägt die Verkehrssicherungspflicht der Bauherr als Veranlasser für Baumaßnahmen. Diese verkürzt sich, soweit er die Planung und Durchführung des Bauvorhabens zuverlässigen Fachleuten übertragen hat. Gegenüber seinen Mitarbeitern ist der Unternehmer selbst für die Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften als Ausdruck der Verkehrssicherungspflicht verantwortlich und hat primär für die Sicherheit auf der Baustelle zu sorgen.
3. Der Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten indiziert grundsätzlich das Verschulden der hierfür verantwortlichen Mitarbeiter.
4. Im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses bleibt die Haftung des nicht selbst auf der Betriebsstätte tätigen Unternehmers auf die Fälle beschränkt, in denen ihn nicht nur eine Haftung wegen vermuteten Auswahl- oder Überwachungsverschuldens trifft, sondern eine eigene Verantwortlichkeit zur Schadensverhütung, wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder Organisationsverschulden.
Normenkette
SGB VII § 105 Abs. 1 S. 1, § 106 Abs. 3 Alt. 3; BGB § 840 Abs. 2, §§ 831, 254, 426, 823 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 26.10.2006; Aktenzeichen 1 Ca 555/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 26.10.2006 – 1 Ca 555/06 – insgesamt abgeändert.
Die Klage wird gegenüber beiden Beklagten abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall.
Im November 2002 wurde auf dem Gelände einer britischen Kaserne in P2 (B7 Barracks) ein neues Kantinengebäude errichtet. Die Zimmermannsarbeiten für den Bau wurden von der Beklagten zu 2) ausgeführt, deren Verantwortlicher vor Ort der Beklagte zu 1) als Zimmermannsmeister war. Weiterhin waren für die Beklagte zu 2) der Arbeitnehmer M6 M8 und der Arbeitnehmernehmer H5 U1 tätig. Der Kläger sowie der Arbeitnehmer P3 W3 waren als Mitarbeiter der Firma D4 H3 GmbH & Co. KG aus N2 tätig. Am 21. November 2002 gegen 15.25 Uhr verlegte der Kläger zusammen mit dem Arbeitnehmer W3 auf dem Dach des Neubaus 14 Meter lange Leimbinderplatten auf Sparren. Das Dach befand sich über einem größeren ummauerten Raum, welcher später den Toilettentrakt bilden sollte. Die Platten lagen zunächst quer über drei Bindern, die im rechten Winkel zur Traufe verliefen. Das Verlegen erfolgte dergestalt, dass die Platten auf den Bindern parallel und bündig zum Traufelement gezogen wurden. Das Traufelement ging über den ummauerten Trakt hinaus, sodass sich innerhalb des ummauerten Bereichs aufgrund einer Zwischendecke nur eine maximale Absturzhöhe von zwei Metern ergab. Außerhalb der Mauer betrug dagegen die Absturzhöhe 5,50 Meter. Bei der Ausführung dieser Verlegearbeiten stand der Kläger auf der Mauer. Beim Heranziehen einer Platte rutschte er aus und stürzte von der Mauer auf den darunter liegenden Betonfußboden außerhalb des ummauerten Raums. Zum Zeitpunkt dieses Unfalls befand sich der Beklagte zu 1) ca. 10 bis 15 Meter entfernt von der Unfallstelle, wo er mit Schweißarbeiten beschäftigt war.
Der Kläger zog sich bei dem Sturz schwerste Verletzungen zu. Er wurde auf die Intensivstation des St. V4-Krankenhauses in P2 verbracht. Wegen der besonderen Schwere der Verletzungen wurde er noch am Abend des Unfalltages in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik D5-B5 verlegt, wo er bis zum 5. Juni 2003 ununterbrochen stationär behandelt wurde. In dem Zeitraum vom 31. Juli bis zum 23. Oktober 2003 befand er sich zur Rehabilitationsbehandlung in der Klinik H4. In der Zeit vom 15. April bis zum 24. Mai 2005 erfolgte nochmals eine stationäre Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik D5. In der Zeit vom 30. Mai bis zum 6. September 2005 erfolgte eine weitere Rehabilitationsbehandlung in der Klinik H4.
Nach dem Unfall wurden beim Kläger neben einem Schädelhirntrauma dritten Grades, eine Felsenbeinfraktur, Hirn- und Lungenkontusionen, Frakturen der Brustwirbelkörper acht bis zwölf sowie der Lendenwirbelkörper eins/zwei, eine Rippenserienfraktur links sowie eine Rippenfraktur 10/11 rechts diagnostiziert. Der Kläger ist seit dem Unfall querschnittsgelähmt und auf die Benutzung eines Aktivrollstuhls angewiesen. Er leidet zudem an einer vollständigen Bla...