Der Bundesgerichtshof (BGH) verneinte nun in einem Urteil vom 9.12.2021 (Az. VII ZR 170/19) den Rückgriff der Unfallversicherung auf das Unternehmen, wenn der Unfall darauf beruhte, dass eine Fremdfirma ihren Verkehrssicherungspflichten nicht genügt hatte. Eine Zurechnung deren Verhaltens sei gesetzlich ausgeschlossen.
Der Fall: Schwerer Unfall wegen der Einrüstung eines Gebäudes ohne Fangnetz und Bordbretter
Ein Dachdeckerunternehmen erhielt einen Auftrag, die Dacheindeckung auf mehreren Hallen durch Trapezbleche zu ersetzen. Um die Aufgabe umzusetzen, beauftragte es seinerseits einen Gerüstbauer mit der Errichtung des Gerüsts, der den Auftrag an eine weitere Firma vergab. Das Gerüst wurde ohne Fangnetz und ohne Bordbretter zu installieren errichtet. Ein Auszubildender der Dachdeckerfirma stürzte ab und verletzte sich schwer.
Die Kosten dieses Arbeitsunfalls wurden von der Unfallversicherung übernommen, die jetzt u.a. die Dachdeckerfirma in die Haftung nehmen wollte. Das LG wies die Klage ab, das Oberlandesgericht Jena hat alle beteiligten Firmen als Gesamtschuldner zum Ersatz der Kosten verurteilt (Urteil vom 11.07.2019, Az. 1 U 113/16). Das Dachdeckerunternehmen wandte sich dagegen an den BGH.
BGH: Der Arbeitgeber muss den Unfall selbst vorsätzlich herbeigeführt haben
Die Unfallversicherung habe keinen Anspruch nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 618 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB gegen den Arbeitgeber des verunglückten Arbeiters. Ein solcher Anspruch scheide wegen § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus, weil diese Regelung voraussetzt, dass der Arbeitgeber selbst den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.
Der BGH verneinte auch einen Regressanspruch der Versicherung aus §§ 110 Abs. 1, 111 S. 1 SGB VII, da auch § 110 SGB VII ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Arbeitgebers voraussetze. Zwar könne man der Dachdeckerfirma nach § 111 S. 1 SGB VII auch das Verhalten seiner Leitungskräfte, vertretungsberechtigten Gesellschafter usw. zurechnen. Die unterlassene Sorgfaltspflicht einer Fremdfirma genüge allerdings nicht.
Der BGH lehnte auch eine Zurechnung des Verhaltens der Gerüstbauer aus § 278 BGB ab: Der Gesetzgeber habe die Regressmöglichkeiten der Versicherung gegenüber dem Arbeitgeber in §§ 110 ff. SGB VII abschließend geregelt. Eine darüberhinausgehende Haftung sei ausdrücklich nicht gewollt.
Praxistipp
Eine alltägliche Konstellation: Auf Baustellen finden sich Haupt und Subunternehmer verschiedenster Ebenen. Erfahrungsgemäß nehmen arbeitsschutzrechtliche Rücksichtsmaßnahmen mit Zunahme der Subunternehmerebenen ab. Der BGH entscheidet in dieser Konstellation nun klar zugunsten des Hauptunternehmers, weil ein eigenes vorsätzliche Handeln ihm nicht vorwerfbar sei. Das mag rechtspolitisch fragwürdig sein, schafft aber Klarheit, da einige Oberlandesgerichte das bislang anders gesehen haben.