Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften. Sicherheitsanweisung. Verhältnismäßigkeit. Abmahnung. Fristlose Kündigung wegen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Außerachtlassung von elementaren Sicherheitsvorschriften, die zu erheblichen Gesundheitsrisiken führen kann, handelt es sich regelmäßig um eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, die an sich geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
2. Einer vorherigen Abmahnung bedarf es ausnahmsweise dann nicht, wenn der Arbeitnehmer im Einzelfall aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung von vornherein nicht damit rechnen kann, dass der Arbeitgeber dies Verhalten (noch) toleriert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit kennt, seine Pflichtverletzung aber gleichwohl hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt.
3. Sofern die vom Arbeitgeber erlassenen Sicherheitsvorschriften für den konkreten Fall keine klaren und eindeutigen Verhaltensanweisungen enthalten, entfällt das Abmahnungserfordernis indessen auch bei einem folgenschweren Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften nicht. Dies gilt erst Recht, wenn der Arbeitgeber für den Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften eine Abmahnung in Aussicht gestellt hat (Einzelfallentscheidung).
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 02.02.2007; Aktenzeichen 4 Ca 2531/06) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02.02.2007, Az. 4 Ca 2531/06, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen weiteren ordentlichen Kündigung.
Der am …1955 geborene und zu 60 % schwerbehinderte Kläger ist seit dem 06.06.1986 als Maschinenführer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist ledig und keinen Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.
Der Kläger ist im Bereich PKW-Bremsbelag Presserei tätig und seit 2002 an einer automatischen Presse, einer so genannten Shuttlepresse eingesetzt (Bereich FS 3.1). Die Shuttelpresse befindet sich in einem Gitterkasten, der durch eine Glastür zu begehen ist. Diese Tür lässt sich nur öffnen, wenn die Shuttlepresse energielos geschaltet ist. Beim Umrüsten der Shuttlepresse auf andere Produktionsvarianten muss aus der abgeschlossenen Produktion verbliebene Rohmasse sowohl aus den Förderschnecken als auch aus dem Drehverteiler entfernt werden. Beide Teile der Anlage müssen mithin vor dem Wechsel der Masse von alten Belagrückständen gereinigt werden. Bei der halbautomatischen Entleerung befördert die zunächst gestartete Shuttlepresse über den Drehverteiler die restliche Masse in das so genannte Pressnest. Sodann wird die Presse gestoppt, die Tür geöffnet und die Masse mittels eines ca. 50 cm langen Staubsaugerrüssels aus dem Pressnest entfernt. Danach wird die Tür wieder geschlossen, die Anlage neu gestartet und der Entleerungsvorgang wiederholt, bis sich in den zuführenden Maschinenteilen der Presse keine Reibbelagmasse der alten Qualität mehr befindet. Dieser Entleerungsvorgang muss 10 bis 15 Mal wiederholt werden.
An der Shuttlepresse ist deutlich sichtbar eine Betriebsanweisung angebracht (Bl. 108 d.GA.) Hiernach ist u.a. bei Umbau- und Rüsttätigkeiten „vor Beginn der Tätigkeit die Steuerung der Anlage auszuschalten” und bei Einricht- und Einstellarbeiten darf die Steuerung etc. erst nach den Umbauarbeiten aktiviert werden. Daneben existieren folgende Arbeitsanweisungen und Sicherheitshinweise im Betrieb der Beklagten die auszugsweise folgende Vorschriften enthalten:
Arbeitsanweisung Nr. 001 (an alle Arbeitnehmer; Bl. 53 f. d.GA.)
„14) Greifen sie niemals in laufende Maschinen
15) Schutzeinrichtungen dürfen niemals entfernt oder wirkungslos gemacht werden”
Arbeitsanweisung Nr. 012 (Bereich FS 3.1, Bl. 55 f. d.GA.)
„4) Betreten Sie den Bereich einer Anlage die repariert oder eingerichtet wird, melden Sie sich bei dem Maschinenführer oder Instandhalter
5) Sprechen Sie die erforderlichen Arbeiten vorher untereinander ab
6) Bei Arbeiten im Handbetrieb ist Sichtkontakt erforderlich”
Arbeitsanweisung Nr. 06/01 (Bereich FS 3.1, Bl. 51 d.GA.)
„Am 23.05.01 hatten wir einen Arbeitsunfall am Shuttle 15, der den Mitarbeiter die Hand hätte kosten können. Ein Sicherheitsschalter an der Anlage war manipuliert und der Mitarbeiter führte Reinigungsarbeiten bei laufender Maschine aus. Hierbei wurde seine Hand dermaßen eingeklemmt, dass er sich nicht selbst befreien konnte. Bitte nehmen Sie diesen schlimmen Vorfall als Anlass für eine Unterweisung mit folgendem Inhalt:
Es ist strengstens untersagt, Sicherheitsvorrichtungen in irgendeiner Form zu manipulieren oder außer Kraft zu setzen.
Niemals in laufende Maschinen greif...