Ingrid Dries, Uta Reiber-Gamp
Zusammenfassung
Regeln sind immer allgemein gehalten. Jeder Arbeitsplatz hat aber besondere Belastungen. Um wirksame Regeln festzusetzen, ist es daher sinnvoll, zuerst zu analysieren, welche Belastungen gesundheitsgefährdend sind. In der Gefährdungsbeurteilung werden die Belastungen sichtbar gemacht. Die Hierarchie der Maßnahmen bestimmt die Reihenfolge der Arbeitsschutzmaßnahmen. Technische Lösungen stehen an erster Stelle, dann folgen die organisatorischen und zuletzt die personenbezogenen Maßnahmen.
1 Grundlage: Gefährdungsbeurteilung
Etwa ein Viertel aller Beschäftigten (ca. 7,6 Mio.) muss schwere Lasten heben und tragen. Außerdem werden Lasten gezogen und geschoben. Zu bewegende Gewichte unter 3 kg gehören ebenfalls zur Lastenmanipulation. Sie werden in der Bewertung durch die Leitmerkmalmethode (LMM) in Manuelle Arbeitsprozesse eingeteilt.
Jede Tätigkeit zeigt andere Belastungsschwerpunkte für den Beschäftigten. Im Alltag sind Kombinationen aus den 3 Bereichen üblich. Das erfordert ein systematisches Vorgehen, denn es gibt immer Wechselwirkungen zwischen Arbeitsplatz, Arbeitsaufgabe, Arbeitsmittel und dem Beschäftigten.
Wie können Beanspruchungen nachhaltig für den Beschäftigten gemindert werden? Was ist die Quelle der Gefährdung? Durch eine Gefährdungsbeurteilung mit dem Schwerpunkt physische Belastungen lassen sich die Quellen der Gefährdung schnell erkennen.
Ablauf der Gefährdungsbeurteilung
- Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung,
- Ermitteln der Gefährdungen,
- Beurteilen der Gefährdungen,
- Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen,
- Durchführen der Maßnahmen,
- Überprüfen der Durchführung und der Wirksamkeit der Maßnahmen.
- Fortsetzen der Gefährdungsbeurteilung – wie geht es weiter?
Bewährt hat sich der Handlungszyklus mit seinen 7 Schritten: Analyse – Beurteilen – Setzen von Zielen – Entwickeln von Lösungen – Auswahl der Lösungen – Durchsetzung von Lösungen – Wirkungskontrolle (Abb. 1).
Abb. 1: Handlungszyklus
Um Gesundheitsgefahren durch Lastenmanipulation effektiv zu vermeiden, muss zuerst das Arbeitssystem mit seinen Teilsystemen betrachtet werden. Dann wird entsprechend dem Handlungszyklus analysiert, beurteilt und Ziele gesetzt. Die Lösungssuche geschieht entsprechend den Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes nach der Hierarchie der Maßnahmen:
- Gefahrenquellen vermeiden,
- sicherheitstechnische Maßnahmen,
- organisatorische Maßnahmen,
- persönliche Schutzmaßnahmen,
- verhaltensbezogene Maßnahmen.
Die Arbeitsschritte werden geplant und terminiert, der Ablauf dokumentiert. Durch Schritt 7 im Handlungszyklus ist die Wirkungskontrolle sichergestellt und daraus können weitere Maßnahmen ermittelt werden.
Erst wenn die Ursachen erkannt sind, machen Regeln zum Belastungsarmen Bewegen von Lasten Sinn (vgl. Abschn. 3).
2 Handlungszyklus
Der Handlungszyklus ermöglicht, systematisch vorzugehen und vollständig zu arbeiten. Jede Phase hat seine Berechtigung. In einem Kurzprotokoll sollte Folgendes dokumentiert werden:
- Vorgehen,
- Ergebnis,
- Datum,
- wann die einzelnen Phasen abgeschlossen wurden,
- beteiligte Personen.
Auf dieser Grundlage können weitere Maßnahmen entwickelt werden, die effizient und nachhaltig wirken.
2.1 Analysephase: Arbeitssystem
Das Arbeitssystem beschreibt die miteinander verbundenen Elemente, die aufeinander wirken (Abb. 2). Dabei gibt es immer eine Wechselwirkung zwischen den einzelnen Elementen und dem Menschen.
Abb. 2: Was wirkt direkt aus dem Arbeitssystem und zusätzlich als beitragender Faktor auf den Menschen?
Erfassen des Arbeitssystems mit den "W"-Fragen
Mit den "W"-Fragen können Sie das Arbeitssystem beschreiben:
- Wer: Mitarbeiter/in, Angaben sind z. T. freiwillig;
- Was: Arbeitsaufgabe, beschreibt das angestrebte Arbeitsergebnis;
- Womit: alle Arbeitsmittel, die benutzt werden, auch Hilfsmittel und Persönliche Schutzausrüstung (PSA);
- Wie oft: Häufigkeit des zu bewegenden oder zu haltenden Gewichtes;
- Wie lange: Zeitdauer, in der das Gewicht bewegt oder gehalten wird;
- Wie schwer: genaue Gewichtsangabe;
- Wie: Körperhaltung während der Bewegung oder während des Haltens;
- Wo: Arbeitsplatz – räumlicher Bereich, der zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe notwendig ist (Platz, Bodenbeschaffenheit und klimatische Verhältnisse).
Erfassen des Arbeitssystems mit den "W"-Fragen
- Wer: Mitarbeiter, männlich, 55 Jahre alt, kräftig gebaut, unterwiesen, in Arbeitstechnik geschult;
- Was: legt Werkstücke vom Scherenhubtisch in die Eingabestation und hebt sie nach der Bearbeitung wieder heraus, um sie in den Behälter mit Neigegerät zu legen;
- Womit: Benutzt Schutzhandschuhe, Schutzschuhe, Werkstück kommt auf dem Scherenhubtisch an, bearbeitetes Werkstück wird im Behälter mit Neigegerät abgelegt;
- Wie oft: 80 Werkstücke pro Schicht, d. h. 160 Hebevorgänge;
- Wie lange: kurzzeitig, unter 5 Sekunden;
- Wie schwer: 16 kg;
- Wie: unter geringer Vorneigung, beim Aufnehmen und Ablegen leicht verdreht mit dem Oberkörper und den Beinen;
- Wo: Eingabestation, Halle X, Platzverhältnisse sind ausreichend.
2.2 Analysephase: Ermitteln der Gefährdung
Nach der Festlegung des Bereiches, der untersucht werden soll (Teilarbeitssystem), werden die ermittelten Fakten...