Für schwangere oder stillende Frauen wird die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) durch die §§ 9 ff. MuSchG näher definiert und konkretisiert.
Der Arbeitgeber hat die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen wird (§ 9 Abs. 2 Satz 1 MuSchG).
Was ist eine unverantwortbare Gefährdung?
Eine Gefährdung ist unverantwortbar, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Eine unverantwortbare Gefährdung gilt als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird (§ 9 Abs. 2 Satz 2 und 3 MuSchG).
Die Ermittlung und Begründung von Art, Ausmaß und Dauer der möglichen unverantwortbaren Gefährdungen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gehört zu den Aufgaben des Ausschusses für Mutterschutz, der beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet wird (§ 30 MuSchG).
1. Beurteilung der Arbeitsbedingungen (§ 10 Abs. 1 MuSchG)
Im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG muss der Arbeitgeber rechtzeitig für jede Tätigkeit Art, Ausmaß und Dauer von Gefährdungen beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG). Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten im Zusammenhang mit
- chemischen Gefahrstoffen (z. B. CMR-Stoffe),
- biologischen Arbeitsstoffen (z. B. Infektionskrankheiten),
- physikalischen Schadfaktoren (z. B. Vibrationen),
- Verfahren und Arbeitsbedingungen (vgl. auch Abschn. 4.2.3),
Zudem muss der Arbeitgeber unter Berücksichtigung dieser Beurteilung ermitteln, ob für eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind voraussichtlich (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MuSchG)
- keine Schutzmaßnahmen erforderlich sein werden,
- eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG erforderlich sein wird oder
- eine Fortführung der Tätigkeit der Frau an diesem Arbeitsplatz nicht möglich sein wird.
Diese Pflicht entfällt, wenn gemäß einer zu diesem Zweck nach § 30 Abs. 4 veröffentlichten Regel oder Erkenntnis des Ausschusses für Mutterschutz eine schwangere oder stillende Frau die Tätigkeit nicht ausüben oder einer Arbeitsbedingung nicht ausgesetzt sein darf.
2. Festlegung von Schutzmaßnahmen (§ 10 Abs. 2 MuSchG)
Sobald eine Frau ihrem Arbeitgeber mitgeteilt hat, dass sie schwanger ist oder stillt, hat dieser unverzüglich die nach Maßgabe der Gefährdungsbeurteilung oder nach Maßgabe des § 13 MuSchG erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen. Zusätzlich hat der Arbeitgeber der Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten.
Zweck der Beurteilung ist:
- alle Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit sowie alle Auswirkungen auf Schwangerschaft oder Stillzeit der betroffenen Frauen abzuschätzen und
- die notwendigen Schutzmaßnahmen zu bestimmen.
Der Arbeitgeber kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben zum betrieblichen Gesundheitsschutz nach MuSchG in eigener Verantwortung wahrzunehmen (§ 9 Abs. 5 MuSchG).
Was bedeutet "rechtzeitig"?
Der Arbeitgeber muss vorab im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG die mutterschutzsensiblen Tätigkeiten nach Art, Ausmaß und Dauer sowie voraussichtlich erforderliche Schutzmaßnahmen ermitteln. Diese generelle Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss grundsätzlich auch dann erfolgen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Prüfung keine weiblichen Beschäftigten hat. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, Diskriminierungen entgegenzuwirken und frühzeitig Transparenz über mutterschutzsensible Tätigkeiten zu schaffen. Dies trägt dem mutterschutzrechtlichen Präventionsgedanken Rechnung, insbesondere auch in den Fällen, in denen vom Risiko einer Gefährdung im Frühstadium der Schwangerschaft ausgegangen werden kann. Beschäftigungsbeschränkungen und Schutzmaßnahmen vor fruchtschädigenden Gefahrstoffen in der sensibelsten Phase – den ersten Wochen der Schwangerschaft – greifen sonst nicht rechtzeitig. Unabhängig davon muss die Gefährdungsbeurteilung nach Gefahrstoffverordnung und Biostoffverordnung vor Aufnahme der Tätigkeit durchgeführt werden. Gleiches gilt für den Strahlenschutz.
Für die Risikobeurteilung gelten die "Leitlinien für die Beurteilung der chemischen, physikalischen und biologischen Agenzien sowie der industriellen Verfahren, die als Gefahrenquelle für Gesundheit und Sicherheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz gelten" (92/85/EWG).
Durchführung der Gefährdungsbeurteilung
- Ermittlung der Gefährdungen (physikalische, chemische und...