Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Rentzsch
Nach der Gefährdungsermittlung und -beurteilung sollte gemäß DGUV-I 203-077 zur Bewertung der Gefährdung durch elektrische Störlichtbögen und der daraus folgenden Auswahl entsprechender PSAgS eine Risikobewertung erfolgen. Eine wesentliche Grundlage dafür sind die in Abschn. 5.2 genannten energetischen Kenngrößen. Demzufolge umfasst die Risikoanalyse folgende Arbeitsschritte:
- Bestimmung des Erwartungswertes der elektrischen Lichtbogenenergie,
- Betrachtung des Lichtbogenschutzpegels der PSAgS,
- Berücksichtigung abweichender Expositionsbedingungen.
Nach DGUV-I 203-077 sind folgende Phasen der Risikobewertung zu beachten:
Phase 1:
Tätigkeits- und Arbeitsbereiche ohne Gefahr der Entstehung einer Störlichtbogenexposition von Personen bei Berücksichtigung des Aufbaus, des Zustands und des Alters der betreffenden Anlage, einschließlich der beabsichtigten Tätigkeit und der Qualifikation der an der Anlage tätigen Personen mit ihren Erfahrungen.
Bewertung: Sollte keine Gefahr der Störlichtbogenexposition von Personen bestehen, ist das Tragen von PSAgS nicht erforderlich.
Phase 2:
Störlichtbogenenergie des Tätigkeits- und Arbeitsbereichs im Fall der Entstehung von Störlichtbögen und ihrer thermischen Auswirkungen.
Bewertung: In folgenden Fällen ist zwar mit Störlichtbogenenergie zu rechnen, von der aber keine Gefährdung durch thermische Auswirkungen ausgeht. Auch hier kann auf das Tragen von PSAgS verzichtet werden:
- bei Arbeiten an Mess-, Steuer- und Regelungsanlagen mit vorgelagerten Stromkreisabsicherungen bis 25 A,
- bei Arbeiten an Stromkreisen mit Nennspannungen bis 400 V mit vorgelagerter Absicherung bis 63 A und Tragen normaler Arbeitskleidung (langärmelige Oberbekleidung und lange Hose),
- bei Arbeiten an Stromkreisen mit Nennspannungen bis 400 V und einem Kurzschlussstrom < 1 kA.
Phase 3:
Höhere zu erwartende Werte der Störlichtbogenenergie mit der Konsequenz der Anwendung des Berechnungsverfahrens zur Ermittlung von WLB.
Bewertung: 4 verschiedene Fälle zur Entscheidung hinsichtlich Auswahl von PSAgS:
WLB < WLB min
Zu erwartende Lichtbogenenergie < 50 kJ, d. h. Hautverbrennung ausgeschlossen – keine PSAgS notwendig.
WLB < WLBS_APC 1
Zu erwartende Lichtbogenenergie < Schutzpegel WLBS einer PSAgS Klasse 1 APC 1, d. h., es ist ausreichender Schutz vor thermischen Auswirkungen eines Störlichtbogens vorhanden.
WLB ≤ WLBS APC 2
Zu erwartende Lichtbogenenergie < Schutzpegel WLBS einer PSAgS Klasse 2 APC 2, d. h., eine PSAgS Klasse APC 2 bietet ausreichenden Schutz vor thermischen Auswirkungen.
WLB > WLBS APC x
Zu erwartende Lichtbogenenergie > Schutzpegel WLBS APCx der verfügbaren PSAgS, d. h. Phase 4 erforderlich.
Phase 4:
- Einleitung von Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtbogenenergie und der Wahrscheinlichkeit von Verletzungen durch Störlichtbögen gemäß Abschn. 6.
- Wiederholung der Risikobewertung ab Phase 3 und Einleitung weiterer Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtbogenenergie, ggf. Fortsetzung mit Phase 5.
Bewertung: Bei Misserfolg Fortsetzung mit Phase 5.
Phase 5:
Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit und Verletzungsschwere einer Störlichtbogenverletzung nach getroffenen Maßnahmen.
Bewertung: Restrisiko bewerten, wenn WLBS der vorhandenen PSAgS < als WLB von Phase 3.
Risikoeinschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Personenverletzung bezüglich
- zu erwartender Schwere einer Verletzung,
- Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Verletzung nach Berücksichtigung getroffener Maßnahmen.
In DGUV-I 203-077 werden die Phasen der Risikobewertung anhand von Beispielen anschaulich untersetzt.