Tomy Sobetzko, Dr. Rupprecht Maushart
Zusammenfassung
Die unterschiedlichen Arten von Strahlenschäden – akute und latente, somatische und genetische Schäden – werden näher beschrieben und die sie auslösenden biologischen Wirkungen der ionisierenden Strahlung im menschlichen Körper erläutert. Dabei wird besonders auf unser derzeitiges Wissen über die Risiken einer in der Praxis am häufigsten auftretenden Exposition bei sehr niederen Dosen und die daraus sich ergebenden Folgerungen eingegangen. Eine Bewertung der Risikofaktoren als Grundlage unserer Strahlenschutzvorschriften und -maßnahmen rundet diesen Beitrag über die biologischen Wirkungen ionisierender Strahlung ab.
1 Arten von Strahlenschäden
1.1 Übersicht
Ionisierende Strahlung verändert durch ihre an die Zellsubstanz übertragene Energie die Chromosomen im Zellkern, die Bausteine des Lebens. Diese Mutationen genannten Veränderungen haben sowohl für die Einzelzelle wie für den Gesamtorganismus i. d. R. eine negative, sprich schädliche Wirkung. Art und Erscheinungsformen des Schadens können allerdings sehr unterschiedlicher Natur sein, einerseits abhängig von der Höhe der aufgenommenen Dosis, andererseits von der Rolle der betroffenen Zellen für den Organismus. Die verschiedenen Arten von Strahlenschäden sind in Abb. 1 schematisch skizziert.
Abb. 1: Arten von Strahlenschäden
Veränderungen in den somatischen Zellen, die biologische Funktionen im Körper steuern, führen zu Erkrankungen, von der Schwächung des Immunsystems bis zur Krebsentstehung.
Veränderungen in den Keimzellen, aus denen Nachkommen entstehen (Eizellen und Spermien), bedingen ein genetisches Risiko.
Eine weitere Spielart der Strahlenwirkung ist das vollständige Abtöten von Einzelzellen oder Zellverbänden. In der onkologischen Radiologie, also in der strahlentherapeutischen Krebsbehandlung, nutzt man diese im Prinzip schädliche Wirkung aus, um gezielt kranke Zellen zu vernichten. In einer ärztlichen Abwägung zwischen Nutzen und Risiko nimmt man dabei in Kauf, dass gleichzeitig auch gesunde Zellen im Strahlengang geschädigt werden.
1.2 Akute Strahlenschäden nach Unfällen
Sehr hohe, in kurzer Zeit aufgenommene Dosen (ab etwa 0,2 Sv) verursachen akute Strahlenschäden. Das sind Schäden, die unmittelbar nach der Bestrahlung im Zeitbereich von Stunden bis Tagen auftreten. Ihre Symptome sind vornehmlich Übelkeit, Haarausfall, innere Blutungen und höhere Infektionsanfälligkeit infolge Rückgang der weißen Blutkörperchen bei Ganzkörperbestrahlung und Hautverbrennungen bei Teilkörperbestrahlung. Ganzkörperdosen über 5 Sv gelten i. d. R. als tödlich.
Für die akuten Strahlenschäden ist kennzeichnend, dass
- die Schwere der Schäden durch die Höhe der Dosis bestimmt wird und
- es einer Mindestdosis bedarf, um solche Schäden überhaupt auftreten zu lassen.
Mit anderen Worten: Es gibt für diese Schäden einen Schwellenwert der Dosis.
Akute Strahlenschäden sind somit typische Unfallfolgen, z. B. bei den direkt betroffenen Opfern einer unabwendbaren unfallbedingten Überdosis, etwa an Hochdosisquellen-Bestrahlungseinrichtungen, oder bei gezielten Hilfseinsätzen nach Unfällen, wie bei den Feuerwehrleuten und "Liquidatoren" von Tschernobyl.
Eine Ausnahme davon ist wieder die schon erwähnte medizinische Strahlentherapie mit "Herddosen" im Bereich von mehreren 10 Sv, bei der auch beginnende akute Strahlenkrankheiten des Patienten im Interesse einer höchstmöglichen Herddosis zur Abtötung des kranken Gewebes hingenommen werden.
1.3 Latente Strahlenschäden
Unter latenten, d. h. verzögert auftretenden Strahlenschäden versteht man Langzeitwirkungen, die erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Strahleneinwirkung erkennbar werden. Das sind überwiegend Leukämie ("Blutkrebs") und alle anderen bekannten Arten "solider" Krebserkrankungen.
Für die latenten Strahlenschäden ist kennzeichnend, dass nicht die Schwere des Schadensverlaufs – die entspricht der Entwicklung bei nicht-strahlenbedingten Krebserkrankungen –, sondern die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts von der Höhe der Dosis abhängt.
Es ist eine nach dem heutigen Stand der Wissenschaft weitgehend akzeptierte Hypothese, dass es dabei zumindest für die überwiegende Mehrzahl aller Krebsarten keinen Schwellenwert gibt. Auch kleinste Dosen addieren sich in ihrer Wirkung auf oder, als Slogan formuliert, "die Zelle vergisst nichts". Mit dieser "Linear, No-Threshold" (LNT) genannten Hypothese in engem Zusammenhang steht die weitere Annahme, dass die Entstehungswahrscheinlichkeit der Krebserkrankung der Dosis direkt proportional ist. Mit anderen Worten, zwischen Dosis und Schadenserwartung besteht ein linearer Zusammenhang, der sich als Risikofaktor in Wahrscheinlichkeit pro Sievert zahlenmäßig erfassen lässt.
Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass in den letzten Jahren im wissenschaftlichen Strahlenschutz immer stärkere Zweifel an der allgemeinen Gültigkeit der LNT-Hypothese geäußert werden. Einerseits weisen bestimmte Daten aus epidemiologischen Untersuchungen darauf hin, dass auch andere als lineare Verläufe der Dosis-Wirkungs-Beziehung mit den statistischen Erkenntnissen vereinbar sein könnten. Andererseits gibt es heute molekularbiolog...