Polytoxikomanie (= gleichzeitiger Konsum verschiedener psychotrop wirkender Substanzen in einem Zeitraum von mind. 6 Monaten) ist weit verbreitet und kann die Arbeitssicherheit gefährden. Das Konsumverhalten hat sich massiv gewandelt. Noch vor etwa 30 Jahren hatte es den Anschein, dass Drogenkonsumenten überwiegend Personen sind, die in ihrem Leben andere Normen und Ziele verfolgen als die breite Masse und sich durch den Drogenkonsum von der etablierten Gesellschaft abheben wollen. Drogenkonsum wurde damals als cool empfunden und bot die Möglichkeit, sich vom spießigen Lebensstil der Mehrheit abzugrenzen.
Inzwischen greifen zunehmend mehr Menschen zu illegalen Drogen und missbräuchlich zu (betäubungsmittelhaltigen) Medikamenten, um das Wohlbefinden, die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit oder die Möglichkeit zur Selbstoptimierung zu steigern. Drogen- und Substanzmissbrauch sind in der Gesellschaft, im Sport- und Arbeitsbereich angekommen. Im Gegensatz zu früher werden heute die verschiedensten Suchtstoffe gleichzeitig oder in gewissen Abständen konsumiert, um im Sport, in der Freizeit oder beim Lernen und Arbeiten beispielsweise die Leistung zu steigern, die Konzentration (meist nur kurzfristig) zu erhöhen, sich zu beruhigen, Angst zu mindern usw. Es sind nicht mehr die "Aussteiger", die Substanzen mit Suchtpotenzial konsumieren. Glaubt man den statistischen Hellfeldzahlen, steigt der Verbrauch und die Bereitschaft, illegale Drogen oder Medikamente ohne therapeutische Notwendigkeit einzunehmen, jährlich.
Dieser Umstand macht sich zunehmend auch im Arbeitsbereich bemerkbar. Dass durch den Konsum und die Wirkungsdauer der unterschiedlichsten Substanzen Gesundheit, Verkehrs- und Arbeitssicherheit gefährdet werden, wird häufig ignoriert. In manchen Unternehmen, in denen Substanzmissbrauch ein Thema war, wurde es gern verdrängt, obwohl Arbeitsunfälle dadurch wahrscheinlicher werden und Substanzmissbrauch in Industrie und Wirtschaft schon im Jahr 2010 ca. 1,7 Mrd. EUR Schaden verursachte. Diese Zahlen wurden vor 12 Jahren statistisch errechnet. Inzwischen haben die Corona-Pandemie und eine liberale Drogenpolitik zu einer Steigerung der Missbrauchsfälle geführt.
Der Umsatz der Pharmaindustrie wurde laut DHS Jahrbuch Sucht (Ausgabe 2020) mit ca. 34 Mrd. EUR angegeben. 50 % der Medikamente entfallen dabei auf rezeptpflichtige Präparate. Und dennoch scheint es, als ob man die Schäden durch Missbrauch lieber akzeptiert, als zu versuchen, aktiv zu werden und eine Problemlösung durch vermehrte Prävention anzugehen. Immer wieder ist zu hören, dass man das Problem ignorieren kann, weil bisher noch nichts passiert ist, man keine Informationen über Substanzmissbrauch im eigenen Unternehmen hat und deshalb die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass ein echtes Problem entsteht.
Teilweise werden Ausreden benutzt, um das Thema herunterzuspielen und den Aufwand für präventive Fortbildungen zu vermeiden. Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, dass es den Arbeitgeber nichts angeht, was ihre Mitarbeiter an Substanzen einnehmen, v. a. wenn dies im privaten Bereich oder beim Sport geschieht. Auch der Datenschutz wird als Argument für fehlende Maßnahmen zur Thematik benutzt – eine gefährliche Einstellung oder Fehleinschätzung der Situation. Das rächt sich spätestens, wenn es zu einem schweren Betriebsunfall kommt und Berufsgenossenschaft, Polizei und Staatsanwaltschaft auf den Plan treten. Fakt ist: Die Einstellung zur "Nutzung" von Drogen und Medikamenten hat sich in der Bevölkerung massiv verändert. Dies erfordert vermehrte Maßnahmen der zuständigen Kontrollstellen, weil die statistischen Zahlen stetig weiter ansteigen und nun auch die Freigabe von kleineren Mengen Cannabis im Raum steht. Dadurch könnten Personen evtl. indirekt motiviert werden, die noch bestehenden gesetzlichen Verbote zu ignorieren und ihren Joint (Haschischzigarette) zu rauchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass damit im Arbeitsumfeld ein Substanzproblem auftauchen kann, ist relativ hoch. Doch wo liegt das eigentliche Problem für Unternehmensleitungen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Führungskräfte?