Substanzmissbrauch im betrieblichen Kontext
Substanzmissbrauch im eigenen Unternehmen
Oftmals wird angenommen, dass es im eigenen Unternehmen keine Probleme mit Substanzmissbrauch gibt. Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im eigenen Unternehmen tatsächlich ein Substanzmissbrauch besteht?
Ja, schon die statistischen Hellfeldzahlen sprechen dafür. So beschreibt beispielsweise das JAHRBUCH SUCHT (DHS e.V.) die steigenden Zahlen bei Medikamentenverordnungen, aber auch bei Drogen- und Alkoholmissbrauch. Auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist seit 2011 ständig steigende Drogendelikte aus.
Die Verordnung von Methylphenidathaltigen Medikamenten zur Behandlung von ADS/ADHS und Narkolepsie ist nach Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ( BfArM) von 35 Kilogramm, im Jahr 1993, auf fast 2.000 Kilogramm, in den Jahren 2012/2013, gestiegen.
Hinzukommt ein hohes Dunkelfeld bei Sport-Doping sowie Neuro-Doping (Neuro-Enhanchement) und der steigende Missbrauch von Mitteln, die zum Life-Style gehören (Happy-Pills, Medikamente zur Steigerung der Konzentration, Anabolika, um sportliche Ziele zu erreichen oder Amphetamine zur Fettverbrennung usw.). Oft werden die Mittel mit Alkohol eingenommen.
Im Gegensatz zu früheren Erkenntnissen, konsumieren viele Menschen Alkohol, Drogen und Medikamente zusammen. Man spricht hier von Polytoxikomanie.
Dann müssen wir in Bezug auf die Arbeitssicherheit auch ärztlich verordnete Medikamente berücksichtigen, vor allem solche, die dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterstellt sind. Sie sind zwar zur Linderung von Schmerzen, anderen Krankheits-Syndromen oder zur Heilung erforderlich, müssen aber dennoch im Hinblick auf die Verkehrs- und Arbeitssicherheit beachtet werden. Man denke hier nur an RITALIN®, FENTANYL®, OXYCODON®; Lyrica® oder Benzodiazepine.
All diese kurz angerissenen Punkte sprechen dafür, dass in vielen Betrieben die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Drogen, Medikamente und Alkohol die Arbeitssicherheit gefährden könnten.
Veränderungen in den letzten Jahren
Hat sich der Substanzmissbrauch in den letzten Jahren verändert?
Definitiv, Corona hat laut UN-Weltdrogenbericht die Menschen zu steigendem Drogenkonsum getrieben. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Jahresbericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD). Dort ist u.a. zu lesen: „Die 18- bis 64-jährigen Erwachsenen konsumieren neben Cannabis Amphetamine, neue psychoaktiven Substanzen (Legal High) sowie Ecstasy, Kokain und Crack.“
Diese Erkenntnisse zeigen, die Lage hat sich verändert. Vor zehn bis fünfzehn Jahren spielten Drogen und Medikamente in Bezug auf die Arbeitssicherheit eine eher untergeordnete Rolle. Alkohol war auch damals schon ein Thema. Heute geht man unbedenklicher mit den Stoffen um und verkennt oft die negative Wirkung auf die Verkehrs- (Wegeunfälle) und Arbeitssicherheit sowie die gesundheitlichen Risiken.
Sollte nun der Besitz einer Cannabismenge von 20-30 Gramm legalisiert werden, muss man sich im Klaren darüber sein, dass dann zwar der Besitz dieser Menge straffrei ist, aber andere Vorschriften, beispielsweise das Arbeitsschutzgesetz und die Unfallverhütungsvorschriften weiterhin ihre Gültigkeit behalten und deshalb strenger überwacht werden müssen. Das Zeitfenster der Wirkung von illegalen Drogen und vielen Medikamenten ist relativ groß, so dass sich auch Konsum am Wochenende noch am Montag oder Dienstag – oder gar länger - auf die Arbeitssicherheit auswirken kann.
Deshalb glaube ich, dass aufgrund der veränderten Lage und der Wahrscheinlichkeit, dass ein weiterer Suchtstoff – nämlich Cannabis – legalisiert werden soll (und die Lage weiter verschärft), all die Unternehmen gut aufgestellt sind, die schon heute die Augen vor der Thematik öffnen und handeln, um die Arbeitssicherheit zu erhalten.
Was bedeutet das für Unternehmen? Was muss speziell beachtet werden?
Unternehmen sollten sich auf die neue Situation einstellen und aktiv werden. In der jüngsten Vergangenheit haben viele Unternehmen das Thema „Substanzmissbrauch“ ignoriert oder vorgegeben, keine Probleme damit zu haben. Doch die steigenden Zahlen fordern aus meiner Sicht zum (präventiven) Handeln. Und das erfordert Basiswissen, um firmeninterne repressive und präventive Strategien zu entwickeln.
Dazu sind Fortbildungsmaßnahmen nötig, um die bereits jetzt statistisch belegten Schäden durch Substanzmissbrauch in Milliardenhöhe zu minimieren und den Personalmangel nicht weiter steigern zu lassen. Unternimmt man nichts können wertvolle Mitarbeiter von einem ignorierten Substanzmissbrauch in eine Suchterkrankung geraten und längere Zeit ausfallen.
Deshalb sollten vor allem Führungskräfte, Sicherheitsfachleute und Personal im Ausbildungsbereich für die möglichen Probleme durch Drogen, Medikamente und Alkohol sensibilisiert werden. Im Rahmen von Fortbildungsmaßnahme sollten sie besonders relevante Stoffe, ihre Wirkung und die Zeitspanne der Nachweisbarkeit (wichtig bei meldepflichtigen Arbeitsunfällen oder bei polizeilichen Ermittlungen wegen eines Betriebsunfalls) kennenlernen. Wichtig ist auch zu vermitteln, dass im schlimmsten Fall auch Führungspersonal für substanzbedingte Arbeitsunfälle arbeits-, straf- und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
Letztlich plädiere ich vor allem für präventive Maßnahmen, die auf den jeweiligen Betrieb, die Art der Tätigkeiten und die Firmenphilosophie zugeschnitten sind. Dabei ist an die Neugestaltung juristisch überprüfter Arbeits- und Ausbildungsverträge zu denken, in denen bereits Maßnahmenmöglichkeiten bei Substanzmissbrauch eingearbeitet sind. Auch Betriebsvereinbarungen sind eine Möglichkeit im Unternehmen transparent darzustellen, welche Maßnahmen im repressiven und präventiven Bereich zu erwarten sind, wenn der Verdacht eines Substanzmissbrauchs, der die Arbeitssicherheit gefährden könnte, im Raum steht oder wenn Mitarbeiter durch die Notwendigkeit ärztlich verordnete Medikamente einnehmen zu müssen, nicht mehr oder zeitweise im gewohnten Tätigkeitsbereich eingesetzt werden können.
Erkennen von Substanzmissbrauch
Wie kann man den Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erkennen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Hier möchte ich zuerst Tests ansprechen, mit denen man auf Oberflächen von Tischen, Computern, Händen usw. Drogenkontakt nachweisen kann. Diese Schnelltests – die auch bei der Polizei eingesetzt werden – können zuverlässig viele Drogenarten mit einem hohem Sicherheitsgrad nachweisen. Ein Nachweis von Medikamenten ist nur bedingt möglich.
Ich werde oft gefragt, ob man solche Tests nicht im Arbeitsbereich nutzen kann, um Drogenkontakt zu erkennen.
Hier gehen die rechtlichen Meinungen auseinander. Zum einen herrscht die Meinung vor, dass man solche Tests an firmeneigenem Material z.B. an einem Gabelstapler oder einem Computer-Keyboard legal einsetzen kann, weil kein Bezug zu einer bestimmten Person besteht, und dadurch keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Andere Juristen sind gegenteiliger Meinung.
Aus meiner Sicht können in einem Unternehmen solche Tests nur dann eingeführt werden, wenn bereits im Arbeits- oder Ausbildungsvertrag eine Vereinbarung mit dem jeweiligen Mitarbeiter getroffen ist oder wenn mit dem Einverständnis der gesamten Belegschaft eine allgemein gültige Betriebsvereinbarung besteht, in der der Einsatz solcher Tests genehmigt ist.
Auch ein Betriebsarzt könnte solche Tests einsetzen, unterliegt aber der ärztlichen Schweigepflicht und darf deshalb seine Erkenntnisse aus ärztlichen Untersuchungen nicht weitergeben.
Ein einfacheres Mittel zur Erkennung von Substanzmissbrauch und Medikamentengebrauch ist die Kommunikation mit den Mitarbeitern, um Vertrauen zu schaffen und auch in schwierigen Fällen zu erfahren, wenn der Verdacht von Substanzmissbrauch auftaucht oder ein Mitarbeiter ärztlich verordnete und für die Arbeitssicherheit bedenkliche Medikamente einnehmen muss.
Regelmäßig und zu bestimmten Wochentagen eingehende Krankmeldungen, Gang, Stimmungsschwankungen, Augenreaktion, plötzliche Aggressivität oder auch gegenständliche Hinweise, wie Joint-Stummel oder weiße Pulveranhaftungen, können ebenfalls Zeichen auf Substanzmissbrauch sein.
In meinen Seminaren wird die Erkennbarkeit von Missbrauch, die einer Suchterkrankung vorausgeht, intensiv behandelt, da es noch viele weitere Möglichkeiten gibt, erste Anzeichen von Missbrauch zu erkennen. Plötzlich verminderte Arbeitsleistungen, veränderte soziale Einstellung gegenüber den Kollegen, Hitze, Lärm, fehlende Anerkennung und vieles mehr können zu Drogen- und Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch führen.
Doch Vorsicht! Auch Ehekrisen, Krankheit in der Familie, versteckte Konflikte am Arbeitsplatz, Ängste, finanzielle Probleme oder Depressionen können die Ursache für verminderte Arbeitsleistung oder eine völlig veränderte Einstellung zur eigenen Gesundheit sein.
Deshalb ist in Verdachtsfällen ein frühzeitiges Fürsorgegespräch des direkten Vorgesetzten mit dem Mitarbeiter auch ein geeignetes Mittel, um Einzelheiten zu einem möglichen Substanzmissbrauch oder andere Gründe für Ausfallzeiten oder sonstige Auffälligkeit im Arbeitsbereich zu erfahren, ohne dass dies arbeitsrechtliche Folge hat.
Wer ist im Unternehmen verantwortlich für solche Themen?
Das wird unterschiedlich praktiziert. Ich habe Unternehmen kennengelernt, in denen das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) in Zusammenarbeit mit einem Arbeitsmediziner Themen wie Substanzmissbrauch und die nötigen Präventionsmaßnahmen bearbeitet hat. In anderen waren Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder die Mitarbeiter der Personalabteilungen verantwortlich. Und in kleineren Unternehmen waren solche Themen oft Chefsache.
Arbeitsmediziner haben allerdings das Problem, dass sie an die ärztliche Schweigepflicht gebunden sind und deshalb überwiegend beratend tätig sein können, wenn es um konkrete Maßnahmen für oder gegen einen Mitarbeiter oder um die Erarbeitung einer Betriebsvereinbarung geht.
Wichtig scheint mir, dass bei der Thematik „Substanzmissbrauch“ Personal eingesetzt ist, dass über ausreichend Basiswissen verfügt und die Aufgaben nicht nur stiefmütterlich wahrnehmen kann.
Der direkte Vorgesetzte und seine subjektive Einschätzung stehen an erster Stelle, wenn es darum geht einen Arbeitsmediziner einzuschalten, Fürsorgegespräche zu führen oder sonstige Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitssicherheit zu treffen, wenn ein Substanzmissbrauchs-Verdacht aufkommt.
Gibt es die Möglichkeit, als Unternehmen Hilfsangebote oder Unterstützung zu erhalten?
Ja, hier ist an die Präventionsabteilungen der Polizei zu denken. Auch Krankenkassen bieten teilweise Hilfsmöglichkeiten an. Institutionen wie die Bayerische Suchtakademie (ähnliche Einrichtung existieren auch in anderen Bundesländern), Drogenberatungsstellen oder Suchtkliniken können Ansprechpartner sein und Unterstützung leisten. Hier sind immer die örtlichen Möglichkeiten zu eruieren.
In diesem Zusammenhang habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, wenn die zuständigen Mitarbeiter eines Unternehmens, wie Personen aus dem BGM-Bereich oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit, regelmäßigen Kontakt zu den örtlichen Hilfsinstitutionen halten, um z.B. dem Vorgesetzten eines gefährdeten Arbeitnehmers Kontakte anbieten zu können, die er im Rahmen eines Fürsorgegespräches nutzen kann oder um Referenten für Fortbildungsveranstaltungen zu gewinnen. Weitere Hilfsmöglichkeiten bieten auch die Fortbildungsveranstaltungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V., die dem Bundesgesundheitsministerium angeschlossen ist.
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