In einem Supermarkt fällt eine 34-jährige Bankangestellte um und bleibt bewusstlos liegen. Ein Notarzt wird gerufen und veranlasst die Einlieferung der alleinerziehenden Mutter in eine Klinik, wo starke Hirnblutungen festgestellt werden. Außerdem findet man heraus, dass die Frau offensichtlich jahrelang missbräuchlich Barbiturate, Aufputschmittel, Crystal-Meth, Amphetamin und Haschisch konsumiert hat. Durch den Vorfall hat die Frau ihr Sprachvermögen verloren und ist einseitig gelähmt.
Bei einer daraufhin durchgeführten polizeilichen Durchsuchung werden wichtige Arbeitsunterlagen gefunden sowie kleinere Mengen der genannten Substanzen. Polizeiliche Ermittlungen werden eingeleitet. Als die Arbeitsunterlagen an den Vorgesetzten der Frau zurückgegeben werden, erklärt er, dass die Frau immer sehr ehrgeizig war und Aussicht auf eine hohe Position gehabt habe, aber offensichtlich unter der Belastung durch Beruf, Kind und Privatleben litt. Ihm und allen Mitarbeitern seien bereits etwa ein Jahr vor dem Vorfall eine Wesensänderung und ungewohnte, kleinere Verfehlungen aufgefallen.
Ein erster Verdacht, dass die Frau ein Alkoholproblem hat, erwies sich als falsch. Deshalb unterließ es ihr Chef, die Frau auf ihre Wesensänderung anzusprechen und nach weiteren Erklärungen für die ungewöhnlichen, kleinen Fehler zu suchen. Er glaubte, dass er das aus Datenschutzgründen nicht dürfe, obwohl er aufgrund des Verhaltens annahm, dass die Frau unter Einfluss irgendwelcher Substanzen stand. Er wurde über die Möglichkeit der sog. Stufengespräche aufgeklärt und erfuhr, dass er in Zusammenarbeit mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit und nach Prüfung der Rechtslage Testmöglichkeiten (Detektionstests) gehabt hätte, um eventuellen Drogenkontakt der Frau nachzuweisen oder den Verdacht auszuräumen. In der Folgezeit wurde durch polizeiliche Ermittlungen festgestellt, dass in dem Unternehmen ein reger Drogen- und Medikamentenhandel unter 7 Angestellten stattfand; sie wurden entlassen.
Probleme und Lösungsansätze:
Hier wurde durch den Vorgesetzten versäumt, die Chance sog. Stufengespräche zu nutzen. Er war über seine Möglichkeiten nie informiert worden. Die kleinen Arbeitspflichtverletzungen, der konkrete Verdacht eines Substanzmissbrauchs und die Wesensänderung hätten ausreichen sollen, die Frau zu einem Fürsorgegespräch einzuladen, die Feststellungen ihres Vorgesetzten zu erörtern und im Bedarfsfall Hilfe anzubieten. Hätte dieses Gespräch, das keinen arbeitsrechtlichen Charakter hat und als "Vier-Augen-Gespräch" nur zwischen dem direkten Vorgesetzten und der betroffenen Person geführt werden sollte, keinen Erfolg, wäre ein sog. Klärungsgespräch der nächste wichtige Schritt gewesen, den die Führungskraft hätte einschlagen sollen. Beim Klärungsgespräch geht es um das Abklären von Gründen bei wiederholtem Vernachlässigen von arbeitsvertraglichen oder dienstrechtlichen Pflichten. Auch die Möglichkeit, dass die Vorfälle in Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum oder Suchtverhalten stehen, können bei diesem Gespräch thematisiert werden.
Wichtig wäre hier, dass Führungskräfte üben, wie sie solche Gespräche beginnen und führen können. Auch die Art der Einladung, der Gesprächsort und viele andere Kriterien sollten hier beachtet werden, wenn ein Vorgesetzter mit einem Mitarbeiter ein Fürsorge- oder Klärungsgespräch führt.