(1) Die gefährlichen Eigenschaften von Gasen werden im Wesentlichen durch die gefahrstoffrechtliche Einstufung und Kennzeichnung wiedergegeben und erkennbar. Einstufung und Kennzeichnung gasförmiger Gefahrstoffe sind daher auch Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gasen. Gemäß CLP-Verordnung werden Gase entsprechend ihrer entzündbaren oder oxidierenden Eigenschaften sowie gemäß ihrer Gesundheits- und/oder Umweltgefahren eingestuft und gekennzeichnet. Unabhängig davon erfolgt nach CLP-Verordnung die Einstufung und Kennzeichnung als "Gase unter Druck" (verdichtete Gase ab einem Überdruck von 200 kPa (2 bar), verflüssigte Gase, tiefgekühlt verflüssigte Gase und gelöste Gase). Die Einstufung und Kennzeichnung bei innerbetrieblichen Tätigkeiten erfolgt nach TRGS 201 "Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen". Ortsbewegliche Gasflaschen sind in der Regel auch mit einer Farbkennzeichnung versehen, die die Identifizierung des Inhalts auch aus der Entfernung erlaubt (z. B. im Gefahrenfall), siehe DIN 1089-3 /2/.
(2) Zusätzlich zu den einstufungsrelevanten gefährlichen Eigenschaften können Gase weitere Eigenschaften haben, die bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen und in den folgenden Absätzen 3 bis 15 aufgeführt sind.
(3) Temperatur und Druck beeinflussen die Eigenschaften von Gasen erheblich und hängen auch voneinander ab. So führt eine Temperaturerhöhung zu einer Druckerhöhung im Druckgasbehälter (durch Wärmeausdehnung bei Permanentgasen (siehe Nummer 3.1.2 Absatz 2) bzw. durch Dampfdruckerhöhung bei verflüssigten Gasen). Umgekehrt führt eine Druckerhöhung durch adiabatische Verdichtung zu einer Temperaturerhöhung. Bei verflüssigten Gasen führt die Temperaturerhöhung auch zur Ausdehnung der Flüssigphase und kann in geschlossenen Behältern bzw. Anlagen (z. B. bei Überschreitung der Füllfaktoren von ortsbeweglichen Druckgasbehältern) zu sehr hohen Drücken führen.
(4) Als entzündbar eingestufte Gase können ggf. zusätzlich pyrophor (selbstentzündlich) sein, d. h., sie können sich an Luft von selbst entzünden und dadurch besondere Brand- und Explosionsgefährdungen verursachen. Gemäß UN-GHS (und zukünftig gemäß CLP-Verordnung) werden Gase als pyrophore Gase eingestuft, wenn ihre Zündtemperatur ≤ 54 °C ist. Beispiele sind Silan oder Phosphan (veraltet Phosphin). Die Zündtemperatur kann z. B. in Anlehnung an DIN 51794 bestimmt werden.
(5) Gase können ggf. chemisch instabil sein, d. h., sie können ohne die Anwesenheit von Sauerstoff (oder Luft) explosionsartig reagieren (zerfallen). Im Allgemeinen handelt es sich dabei um entzündbare Gase wie z. B. Acetylen (Ethin), Ethylenoxid (1,2 Epoxyethan), Propadien oder Methylvinylether (Methoxyethen). Eine Liste mit einigen entzündbaren chemisch instabilen Gasen einschließlich Konzentrationsgrenzen ist im UN Handbuch über Prüfungen und Kriterien /3/ in Section 35 enthalten. Es gibt auch nicht entzündbare Gase, die chemisch instabil sind, wie z. B. Ozon oder Distickstoffoxid (Lachgas); diese werden aber gemäß CLP-Verordnung nicht als chemisch instabil eingestuft und gekennzeichnet.
(6) Gase können ggf. als solche oder in Verbindung mit Wasser oder Feuchtigkeit korrosiv wirken und dadurch Behälter- bzw. Konstruktionswerkstoffe angreifen. Beispiele sind Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder Halogenwasserstoffe bzw. Gase, die durch Reaktion mit Wasser diese Gase bilden. Dazu zählen insbesondere Gase, die durch Reaktion mit Wasser Halogenwasserstoff bilden, wie z. B. Fluor, Chlor oder zahlreiche andere Gase, die Halogene enthalten. Durch Reaktion mit Wasser oder Feuchtigkeit können aber auch andere korrosive Stoffe entstehen, wie z. B. bei der Reaktion von Schwefeldioxid mit Wasser zu Schwefligsäure (veraltet Schweflige Säure).
(7) Gase können ggf. polymerisieren. Polymerisationsreaktionen können je nach Lager- bzw. Umgebungsbedingungen heftig und unter starkem Druck- und Temperaturanstieg oder langsam ablaufen. Beispiele für heftig ablaufende Reaktionen sind die Polymerisation von Ethylenoxid zu Polyethylenglykol, von 1,3 Butadien zu Polybutadienen oder von Ethylen (Ethen) zu Polyethylen.
(8) Sauerstoffgrenzkonzentrationen von entzündbaren Gasen im Gemisch mit den Inertgasen Stickstoff und Kohlendioxid sind in der TRGS 722 "Vermeidung oder Einschränkung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre" in Nummer 2.3.3.2 Tabelle 1 aufgeführt. Explosionsgrenzen und Sauerstoffgrenzkonzentrationen für weitere Gasgemische sind in den sicherheitstechnischen Datenbanken GSBL /4/ und Chemsafe /5/ und in der Literatur /6, 7/ zu finden. Prüfmethoden für die Bestimmung von Explosionsgrenzen sind in DIN EN 1839 /8/ und für Sauerstoffgrenzkonzentrationen in DIN EN 14756 /9/ beschrieben.
(9) Im Allgemeinen werden Explosionsgrenzen für atmosphärische Bedingungen angegeben. Bei erhöhter Temperatur und/oder erhöhtem Druck weitet sich der Explosionsbereich in der Regel auf, d. h. die UEG verschiebt sich zu niedrigeren und die OEG zu höheren Werten. Deshalb...