Nach den Erklärungen und Erläuterungen, welche Rolle der Mensch im System spielt und wie man das System als Ganzes zur Fehler- und Unfallvermeidung nutzen kann, wird kurz auf 2 weitere Ansätze hingewiesen, die auf eine direkte Verhaltensbeeinflussung zielen.
9.1 Fünf-Stufen-Methode zur Verhaltensmodifikation von Burkardt
Die Fünf-Stufen-Methode zur Verhaltensmodifikation bei Unfallschwerpunkten (1992) von Burkardt macht die Umsetzung von Maßnahmen zugunsten des Arbeitsschutzes verständlich und handhabbar.
Zu den 5 Stufen zählen:
Ermittlung und Analyse von Unfall- bzw. Gefährdungsschwerpunkten
Dabei wird das Unfallgeschehen systematisch ausgewertet, wobei auch Beinahe-Unfälle zur Erweiterung der Datenbasis herangezogen werden können. Detailanalysen von Unfällen und Beinahe-Unfällen eignen sich zur Identifizierung von Unfalltypen oder zugrunde liegenden Unfallursachen. Der Systemgedanke wird hierbei berücksichtigt.
Festlegung von Verhaltensregeln
Im zweiten Schritt werden Verhaltensregeln für die Mitarbeiter festgelegt, die realistisch, leicht verständlich und konkret sind sowie von den Beschäftigten akzeptiert werden. Burkardt plädierte für nicht mehr als 10 Verhaltensregeln.
Ableiten eines Maßnahmenplans
Ein Maßnahmenkatalog soll die formulierten Verhaltensregeln im Unternehmen verankern. Dabei setzt Burkardt bei der Verhaltensbeeinflussung auf die lernpsychologischen Prinzipien Verstärkung und negative Verstärkung, welche sicheres Verhalten erleichtern und sicherheitswidriges Verhalten erschweren.
Realisierung des Maßnahmenplans
Die stufenweise Realisierung des Maßnahmenplans soll innerhalb von 1 bis 2 Jahren erfolgen. Der Durchführungsprozess wird kontrolliert und evaluiert.
Wirkungskontrolle
Die Wirkungskontrolle erfolgt im Sinne einer Ergebnisevaluation, wobei der (Lern)Erfolg sowohl durch Verhaltensbeobachtung als auch durch statistische Kennzahlen ermittelt wird.
9.2 Behavior Based Safety (BBS)
Ein weiterer lerntheoretischer Ansatz ist das Modell Behavior Based Safety. BBS ist ein Ansatz aus der Verhaltenswissenschaft, welcher sich mit verhaltensorientierter Arbeitssicherheit übersetzen lässt. Wie Heinrich und seine Kollegen fokussiert sich BBS auf unsichere Verhaltensweisen und Beinahe-Unfälle, wobei das sichere Verhalten systematisch gefördert werden soll. BBS bleibt nicht bei der Deskription stehen, sondern entwickelt Methoden und Vorgehensweisen, die betriebsspezifische Gegebenheiten abbilden und bei dem die Mitarbeiter mit ihrer Expertise und Kompetenz aktiv in die Verbesserung der Arbeitssicherheit einbezogen werden. Im Idealfall ist BBS ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der von den Mitarbeitern forciert wird.
Das A-B-C-Modell der Verhaltensanalyse
Verhalten ist immer eingebunden in vorausgehende Bedingungen und nachfolgende Konsequenzen. Vorausgehende Bedingungen sind Umgebungsbedingungen, wie die Technik, Gebots- oder Verbotsschilder, Unterweisungen, Bedienungsanleitungen, Warnsignale. Diese triggern ein Verhalten, wie beispielsweise das Aufsetzen einer Schutzbrille, das Tragen einer Sicherheitsweste. Das gezeigte Verhalten hat positive oder negative Konsequenzen (Anerkennung oder Kritik). Folgen keine Konsequenzen aus dem Verhalten, bleiben Verhaltensänderungen aus. Denn es ist scheinbar egal, wie sich Mitarbeiter in Sachen Arbeitssicherheit verhalten. Verhaltensänderungen sind besonders dann zu erwarten, wenn Konsequenzen zeitnah, vorherseh- und erwartbar sowie positiv sind. Diese positive Verstärkung ist eine zentrale Annahme im BBS: Schuldzuweisungen werden vermieden, erwünschtes Verhalten positiv verstärkt.
Der verhaltensorientierte Ansatz ist eine sehr erfolgreiche Methode zur Verhaltensänderung, da nicht der Mensch mit schuldhaftem Verhalten oder Versagen im Mittelpunkt steht, sondern das Verhalten, welches aus den Vorbedingungen resultiert. Auch hier wird der systemische Ansatz sichtbar. Um Verhaltensänderungen dauerhaft zu etablieren, sind nach BBS 5 Schritte notwendig.
Der BBS-Prozess
- Das sichere Verhalten wird präzise definiert.
- Das Arbeitsverhalten wird beobachtet.
- Die Mitarbeitenden erhalten Feedback zu ihrem Verhalten.
- Für die Veränderung des Verhaltens werden Ziele gesetzt.
- Das sichere Verhalten wird positiv verstärkt.
Wirksamkeit von BBS
Die Wirksamkeit von BBS kann mit dem Return of Investment (ROI) ausgedrückt werden, der bei BBS bei 10 : 1 liegt. D. h., für jeden Dollar, den eine Firma für BBS ausgibt, erhält sie 10 Dollar in Form von geringeren Ausgleichszahlungen zurück. Ein Zusatznutzen ist, dass die Unfallzahlen dauerhaft gesenkt werden können.
Wie verhaltensorientierter Arbeitsschutz an den grundlegenden Ursachen von unsicherem Verhalten ansetzt, wie Anzahl und Ausmaß von Verletzungen und Schäden nachhaltig verringert werden, wird im Beitrag "Verhaltensorientierter Arbeitsschutz: Grundlagen" erläutert.