Die mit Abstand häufigsten Unfallursachen liegen bekanntlich im mangelnden Bewusstsein der Mitarbeiter für ihre Gefährdungen am Arbeitsplatz und den daraus resultierenden unsicheren Verhaltensweisen. Der Beeinflussung von Verhalten und Einstellung im Arbeitsschutz kommt daher eine herausragende Bedeutung zu, will man das Unfallgeschehen signifikant reduzieren und Verletzungen sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen eliminieren. Verhaltensentwicklung und Veränderung geschieht i. d. R. in einem Prozess des Übens, Reflektierens und Integrierens. Deshalb ist das systematische Hinschauen bei der Arbeit und anschließende Feedback unabdingbar für Verhaltensbeeinflussung. Korrektur von Verhalten und Überzeugungen setzen sowohl Verhaltensbeobachtung als auch direkte Kommunikation voraus.

6.1 Beobachtung

Ein bedeutungsvoller erster Schritt ist, Menschen bereits vor dem Eintreten unsicherer Arbeitsbedingungen zu beobachten. Die meisten von uns beobachten nicht von Natur aus oder achten nicht auf die Verhaltensweisen von Personen.

Eine häufige Reaktion von Menschen ist das Vertuschen falscher Verhaltensweisen. Wird ein Beobachter bemerkt, verändert sich blitzschnell die fehlerhafte, unsichere Arbeitsweise (z. B. Schutzhelm oder Schutzbrille aufsetzen). Ein ungeübter Beobachter wird dies nicht wahrnehmen. Unsichere Arbeitsweisen (wie z. B. das falsche Heben von Lasten) laufen in Sekundenschnelle ab.

Schutzbekleidung und Zubehör sind noch ein relativ einfaches Thema. Aber wie steht es z. B. mit der Kontrolle von Schuhsohlen? Manchmal sind sie verfettet oder sogar gebrochen. In welchem Zustand befinden sich Arbeitsmittel und Ausrüstung (Prüfsiegel, Wartung, Schäden usw.)? Wird mit improvisierten Werkzeugen gearbeitet? Sind sämtliche Schutzvorrichtungen vorhanden und in Ordnung? Hält man die vorgeschriebenen Arbeitsprozesse ein?

Dort, wie bei so vielem anderen, muss man gezielt hinschauen, um die Unregelmäßigkeiten erkennen zu können. Es bedarf somit einiger Übung, bis der Blick für unsichere Handlungen und Situationen geschärft ist. Wichtig ist dabei, dass man zeitnah und anlassbezogen reagiert, sobald unsicheres Verhalten oder unsichere Situationen wahrgenommen werden. Neben dem Erkennen von Abweichungen und Fehlentwicklungen sollten aber auch positive Entwicklungen und Veränderungen festgestellt und durch positives, anerkennendes Feedback verstärkt werden.

6.2 Sicherheitsgespräch

Verhalten, das zu Verletzungen, Krankheiten und Verlusten führen kann, korrigiert man im 4-Augen-Dialog. Ziel dabei ist, Motivation und Bewusstsein für eine sichere Verhaltensweise zu erzeugen. Darauf baut das kollegiale Sicherheitsgespräch auf.

Niemand handelt ohne Sinn und Grund – also motivlos. Das menschliche Handeln wird ganz wesentlich bestimmt durch persönliche Werte, Überzeugungen, Erfahrungen und Emotionen. Je stärker der erkennbare Nutzen und Sinn sicherer, gesunder Arbeitsbedingungen und Verhaltensweisen damit in Übereinstimmung gebracht werden kann, desto wahrscheinlicher ruft man ein gewünschtes Handeln hervor.

Positive wie negative Erfahrungen vergegenwärtigen und Emotionen wecken, gelingt am ehesten durch die Reflexion möglicher Folgen einer unsicheren, riskanten Handlung. Fragen, wie

  • "Welche Risiken haben sie, wenn sie so arbeiten?",
  • "Welche guten Erfahrungen haben sie schon mit Schutzmaßnahmen gemacht?" oder
  • "Was kann passieren, wenn sie so arbeiten? Was kann schlimmstenfalls passieren?",

lenken auf konkrete Konsequenzen des Handels und erzeugen i. d. R. die nötige Betroffenheit. Gleichzeitig entsteht bezüglich der Vermeidung solcher Folgen ein erkennbarer Nutzen vor den Augen des Betroffenen und erzeugt eine gemeinsame Motivation für den gewünschten Verhaltenswechsel.

6.3 Schlüsselschritte im Sicherheitsgespräch

Für ein effektives Sicherheitsgespräch mit Fremdfirmenmitarbeitern lassen sich 10 Schlüsselschritte definieren:

  1. Verhalten von Menschen beobachten.
  2. Sich vorstellen und im Gespräch die Befangenheit abbauen.
  3. Menschen den Grund nennen, warum man sie anspricht.
  4. Nach der genaueren Tätigkeit und Auftragnehmererklärung/Auftragsbescheinigung fragen.
  5. Sicheres, richtiges Verhalten loben.
  6. Offene, wertschätzende Fragen stellen.
  7. Nach dem schwersten, denkbaren Unfall sowie den Konsequenzen fragen.
  8. Sichere, richtige Verhaltensweisen erfragen bzw. benennen.
  9. Bereitschaft zum dauerhaft veränderten, sicheren Verhalten erreichen.
  10. Vereinbarten Maßnahmen nachgehen.

Entscheidend für den Erfolg ist der Dialog. "Vorpredigen", Belehren, Kritisieren oder Drohen bewirken in den seltensten Fällen nachhaltige Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Angemessene eigene Risikovorsorge wird der Mitarbeiter nur dann vornehmen, wenn er für sich einen Nutzen und Sinn erkennt. Die dialogische Gesprächsführung bietet dazu beste Voraussetzungen.

Der/die verantwortliche Koordinator/Führungskraft vor Ort ist darin naturgemäß zuerst gefordert. Darüber hinaus sind aber auch alle anderen Werksangehörigen "ermächtigt" bzw. aufgefordert, durch eigene Wahrnehmung und Beobachtung unsicherer Situationen, Verhaltensweisen sowie Beinaheunfällen Fremdmitarbeiter an...

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