Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Zusammenfassung
- Eine schriftliche Pflichtenübertragung ist ein rechtlich akzeptierter Weg, mit dem der Arbeitgeber dokumentieren kann, dass der seinen Organisationsverpflichtungen im Arbeitsschutz nachkommt.
- Die Pflichtenübertragung trägt erheblich dazu bei, dass Vorgesetzte aller Hierarchieebenen Arbeitsschutz als ihr Anliegen betrachten. Das kann die Entwicklung eines hohen Arbeitsschutzniveaus unterstützen.
- Wird eine Pflichtenübertragung nicht von entsprechenden Aufklärungs- und Schulungsmaßnahmen begleitet, wird sie von den betroffenen Führungskräften häufig als zusätzliche Belastung und auf sie abgewälzte Verantwortung empfunden.
- Bei angemessener Unterstützung begreifen Führungskräfte die Pflichtenübertragung als willkommene Maßnahme, bestehenden Pflichten besser zu entsprechen und rechtlich besser abgesichert zu sein.
- Pflichtenübertragung ist keine Einbahnstraße. Wenn Führungskräfte vor Ort ihre Pflichten wirksam wahrnehmen, führt das über deren Rückmeldung automatisch auch dazu, dass der Arbeitgeber Fragen und Probleme im Arbeitsschutz aufgreifen und klären muss.
1 Details
1.1 Definition
Nahezu das gesamte deutsche Arbeitsschutzsystem wendet sich in allen wesentlichen Bereichen an den Arbeitgeber bzw. Unternehmer als Adressaten für Schutz- und Fürsorgepflichten. Praktisch kein Arbeitgeber kann aber in Person alle anfallenden Aufsichts-, Organisations- und Informationsaufgaben wahrnehmen. Daher verweist § 13 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz ausdrücklich auf weitere verantwortliche Personen im Arbeitsschutz, z. B. Unternehmens- und Betriebsleiter und "sonstige beauftragte Personen". Allerdings wird die Abgrenzung der Zuständigkeiten und damit letztlich der Haftbarkeit im Einzelnen sehr schwierig, wenn diese nicht ausdrücklich festgelegt werden.
1.2 Hintergrund
Wie weit eine Pflichtenübertragung im Arbeitsschutz tatsächlich verbindlich erforderlich ist, wird in Fachkreisen mit unterschiedlicher Tendenz diskutiert:
- Ein Standpunkt, der zwar selten offiziell formuliert, aber häufig im betrieblichen Alltag vertreten wird, ist: Die Führungsaufgaben im Arbeitsschutz können und sollen von den übrigen Pflichten eines Vorgesetzten gar nicht abgetrennt werden. Eine ausdrückliche Pflichtenübertragung erübrigt sich, weil ja ein Vorgesetzter ohnehin auf den ordnungsgemäßen Ablauf aller betrieblichen Vorgänge in seinem Bereich achten muss.
- Der entgegengesetzte Standpunkt besagt, dass eine Pflichtenübertragung unumgänglich ist. Ohne Pflichtenübertragung sei die Verantwortungsabfolge im Betrieb so wenig nachvollziehbar, dass Arbeitsschutzinteressen nie mit dem gebotenen Nachdruck verfolgt werden. Damit sei sozusagen automatisch ein Organisationsversagen (dann i. d. R. zulasten des übergeordneten Arbeitgebers) anzunehmen.
Beide Standpunkte enthalten im Grunde nachvollziehbare Argumentationen. Bei der Entscheidung im Einzelfall ist sicher auch die Betriebsgröße zu berücksichtigen:
- In einem Kleinstbetrieb, in dem ohnehin der Chef alles überblickt und alle mit Kosten verbundenen Entscheidungen trifft, bleiben nur sehr wenige, übersichtliche Pflichten übrig. Sie können auf einen nachgeordneten Vorgesetzten übertragen werden, was sicher nicht unbedingt der Schriftform bedarf.
- Andersherum ist tatsächlich bei großen, differenziert aufgebauten Unternehmen die schriftliche Pflichtenübertragung der einzige gangbare Weg, um die Organisationsverantwortung im Arbeitsschutz zu dokumentieren und ein gutes Arbeitsschutzniveau auf allen Ebenen zu erzielen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine Pflichtenübertragung genau zu den Strukturen gehört, die sehr häufig von Aufsichtsbehörden nachgefragt werden und im Rahmen von Zertifizierungsverfahren eine wesentliche Rolle spielen.
1.3 Verantwortung von Arbeitgeber und Führungskräften
Wenn der Arbeitgeber eine Pflichtenübertragung vorbereitet, die bei größeren Betrieben u. U. über mehrere Hierarchieebenen geht, muss er sich darüber im Klaren sein, dass nur Pflichten wirksam übertragen werden können, die der Empfänger aufgrund seiner Kompetenzen übernehmen kann. Das betrifft nicht nur die persönliche Qualifikation (z. B. Führungsqualitäten), sondern auch den Umfang der Entscheidungs- und Weisungsbefugnis. Die Betroffenen müssen auch in der Praxis dazu in der Lage sein, ihren Pflichten wirksam nachzukommen – nicht nur auf dem Papier. Dazu müssen Verantwortungsbereiche nachvollziehbar abgesteckt sein, z. B. in organisatorischen und finanziellen Fragen wie der Beschaffung, aber auch in der Abgrenzung zu anderen Betriebsstrukturen (z. B. Qualitätsmanagement, Werkschutz).
Bei einer Pflichtenübertragung kommen nicht nur auf die Führungskräfte als Empfänger der Übertragung Aufgaben zu. Auch der übergeordnete Arbeitgeber muss sich darauf einstellen, dass zum Arbeitsschutz vermehrt Rückfragen, Anforderungen und Hinweise auf Probleme und Mängel kommen werden. Damit geben die Führungskräfte vor Ort in legitimer Weise Verantwortung in den Feldern zurück, die sie im Rahmen ihrer Befugnisse selbst nicht abdecken können.
Wo Pflichtenübertragung und Führungsverantwortung einander nicht entsprech...